Montgomery & Stapleton 08 - Die Hand des Bösen
setzen?«, bohrte Laurie weiter.
»Da bin ich auch überfragt. Wenn ich raten müsste, dann ist es vermutlich die Entscheidung irgendeines ahnungslosen Bürokraten gewesen. Das ist hier in Indien die übliche Erklärung für das Unerklärbare.«
»Und warum ausgerechnet Amerikaner? Die Medizintouristen kommen doch auch aus anderen Ländern, oder?«
»Auf jeden Fall. Ich glaube sogar, dass die Mehrzahl aus den anderen asiatischen Ländern, dem Nahen Osten, Europa und Südamerika stammt. Aber in letzter Zeit wurden die USA besonders stark ins Visier genommen. Ich glaube, die staatliche Behörde für medizinischen Tourismus betrachtet die USA als wichtigsten Markt, um das Wirtschaftswachstum in diesem Segment über die Dreißig-Prozent-Marke zu heben. Die entsprechenden Kapazitäten sind ja vorhanden. Die bereits existierenden Privatkliniken sind im Augenblick alle unterbelegt.«
»Wie stehen Sie denn persönlich zum medizinischen Tourismus?«, wollte Laurie wissen.
»Ich persönlich bin dagegen, es sei denn, die Gewinne fließen in das öffentliche Gesundheitssystem. Aber das ist nicht der Fall, und so weit wird es auch nicht kommen. Die Gewinne werden von diesen neuen Mega-Geschäftsleuten abgeschöpft, von denen wir schon mehr als genug haben. Außerdem ist das zweigliedrige System, das momentan im Entstehen ist, ethisch untragbar.«
»Aber trotzdem nutzen auch Sie selbst Privatkliniken«, bemerkte Laurie.
»Das stimmt, das gebe ich offen zu. Aber ich leiste auch meinen Beitrag für das öffentliche Gesundheitssystem. Die eine Hälfte meiner Zeit bin ich als Gynäkologe in einem öffentlichen Krankenhaus, ohne dafür bezahlt zu werden. Mit dem Geld, das ich durch die privaten Hormonbehandlungen verdiene, ernähre ich meine Familie. Da es auf diesem Gebiet nicht allzu viele Spezialisten gibt, habe ich meinen Patienten zuliebe in fast jeder Privatklinik eine Zulassung, aber nur in zweien ein eigenes Sprechzimmer.«
»Gehören Sie auch im Aesculapian Medical Center zur Belegschaft?«
»Ja. Wieso?«
»Dort gab es einen dritten Todesfall, der den beiden Fällen hier sehr ähnelt. Wir gehen davon aus, dass die dafür verantwortliche Person zu beiden Kliniken irgendwie in Beziehung steht. Darum glauben wir, dass wir es mit einem Arzt zu tun haben könnten.«
»Das ist ein gutes Argument«, sagte Arun.
»Vielleicht wollen Sie uns lieber nicht bei der Aufklärung unterstützen, da Sie ja eigentlich gegen diesen medizinischen Tourismus sind. Schließlich könnte sogar einer Ihrer Ärztekollegen oder einer Ihrer radikalen Studenten dahinterstecken.«
»Ich billige dieses Vorgehen auf gar keinen Fall«, erwiderte Arun bestimmt. »Ich wäre überaus froh, wenn ich Ihnen behilflich sein könnte. Und da ich mich für Kriminalistik interessiere, wird es für mich bestimmt sehr spannend. Also, womit fangen wir an?«
»Auf jeden Fall mit der Obduktion«, sagte Jack.
»Dann rufe ich jetzt Vijay an«, meinte Arun und griff nach dem Hörer.
Kapitel 31
Freitag, 19. Oktober 2007
9.45 Uhr
Neu-Delhi, Indien
I nspektor Naresh Prasad langweilte sich und fühlte sich unwohl. Er hatte seinen Tee getrunken und die Zeitung von vorne bis hinten durchgelesen. Jetzt saß er schon fast zwei Stunden auf dem Fahrersitz seines Ambassador, ohne eine Spur von Jennifer Hernandez oder irgendeine Nachricht vom Empfang. Wenn er jetzt ausstieg, würde er ihr wahrscheinlich direkt in die Arme laufen, machte es aber trotzdem und ließ die Fahrertür weit offen stehen.
Draußen streckte er sich zuerst und beugte sich dann nach vorne, bis er mit den Fingerspitzen beinahe die Zehen berührte. Weiter kam er nicht. Der Sikh, der die Tür bewachte, winkte ihm lächelnd zu. Naresh winkte zurück. Immer noch keine Miss Hernandez. Er warf einen Blick in das Innere seines Wagens. Eigentlich müsste er jetzt Geduld beweisen und wieder einsteigen, aber er konnte sich nicht dazu durchringen. Die Sonne brannte, und es war einfach viel zu heiß da drin.
Er wandte den Blick wieder zurück zum Hotel. Was machte sie denn bloß? Wieso war sie immer noch nicht nach unten gekommen? Doch dann wurde ihm klar, dass er lediglich annahm, dass sie noch nicht nach unten gekommen war, weil er nämlich außerdem annahm, dass Sumit ihn in diesem Fall, wie versprochen, verständigt hätte. Naresh fasste einen spontanen Entschluss: Er wollte selbst feststellen, ob sie schon gesichtet worden war.
Er klappte die Tür seines Wagens zu und ging unter dem Baldachin
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