Montgomery & Stapleton 08 - Die Hand des Bösen
einen möglichen Attentatsversuch miterlebt und deswegen Angst hatte, das Hotel zu verlassen.
Sie landeten im neunten Stock und eilten zum Zimmer 912. Sidharth deutete auf das »Bitte nicht stören«-Schild. Neil nickte und sagte: »Das hängt schon den ganzen Tag da.«
»Miss Hernandez«, rief Sidharth, nachdem er geklingelt hatte. Er klopfte ein paar Mal, dann holte er eine Master-Schlüsselkarte hervor. Er machte die Tür auf und trat beiseite, um Damini Platz zu machen. Die Frau huschte ins Zimmer, kam aber gleich wieder heraus.
»Das Zimmer ist leer«, sagte sie.
Jetzt ging auch Sidharth hinein. Sie sahen im Hauptzimmer und im Badezimmer nach. Es sah aus, als sei alles in Ordnung, nur die Duschkabine stand offen, und über der Kabinentür hing ein trockenes Handtuch. Sidharth befühlte es sogar.
»Es sieht so aus, als wäre sie einfach ausgegangen«, sagte er.
Neil musste ihm recht geben. Bis auf die offen stehende Duschkabine und das »Bitte nicht stören«-Schild an der Tür machte alles einen vollkommen normalen Eindruck.
»Was sollen wir jetzt unternehmen, Sir?«, wollte Sidharth wissen. »Es sieht eigentlich nicht übermäßig verdächtig aus. Vielleicht ist Ihre Freundin ja zum Abendessen zurück.«
»Irgendetwas stimmt da nicht«, sagte Neil kopfschüttelnd. Er hatte mittlerweile den kleinen Zimmerflur betreten. Als er sich zum Gehen wandte, fiel sein Blick auf die beschädigte Stelle neben dem Türrahmen, wo die Sicherungskette verankert gewesen war. »Hier ist etwas«, sagte er. »Die Sicherungskette fehlt, mitsamt dem Gehäuse.«
»Sie haben absolut recht«, sagte Sidharth. Er holte sein Handy hervor und rief beim Empfang an. »Schicken Sie sofort jemanden vom Sicherheitsdienst nach oben, Zimmer 912.«
»Verständigen Sie die Polizei«, sagte Neil. »Und zwar auf der Stelle. Ich glaube, es handelt sich um eine Entführung.«
Kapitel 36
Freitag, 19. Oktober 2007
19.14 Uhr
Varanasi, Indien
V aranasi ist zweifellos eine interessante Stadt«, sagte Laurie, »aber mehr auch nicht.« Jack, Arun und sie hatten soeben das Dasashvamedha-Ghat am Ganges erreicht. Dazu hatten sie sich durch eine unglaublich überfüllte Einkaufsstraße gekämpft, die gefühlte zwei Kilometer lang gewesen war.
Der Flug von Neu-Delhi hierher hatte ganz gut geklappt, trotz einer mehr als halbstündigen Verspätung. Außerdem war das Flugzeug sehr dicht besetzt gewesen. Die Fahrt vom Flughafen ins Hotel hatte fast genauso lange gedauert wie der Flug selbst, aber Laurie und Jack hatten fasziniert zum Fenster hinausgestarrt, wo sich in unablässiger Folge kleine, primitive und überfüllte Geschäfte mit einem verwirrend vielfältigen Angebot aneinanderreihten. Je näher sie dem Stadtzentrum kamen, desto verwahrloster wurde das Bild. Angesichts dieser Bevölkerungsdichte konnten sich die beiden Pathologen ohne Weiteres vorstellen, dass Indien eine Milliarde Einwohner und außerdem noch eine halbe Milliarde umherstreunende Tiere besaß.
Die Anmeldung im Hotel verlief reibungslos, zumal der Geschäftsführer namens Pradeep Bajpai ein Bekannter von Dr. Ram war. Pradeep hatte auch den Kontakt zu einem Professor der Banaras Hindu University hergestellt. Er hieß Jawahar Krishna und war bereit, ihnen als Führer zu dienen. Er war direkt ins Hotel gekommen, wo die anderen drei gerade ein frühes Abendessen zu sich nahmen. Schließlich konnte es gut sein, dass sie den Großteil der Nacht auf den Beinen waren.
»Man muss sich an diese Stadt erst gewöhnen«, sagte Jawahar. Er konnte Laurie gut verstehen. Er mochte Ende vierzig, Anfang fünfzig sein, mit einem breiten Gesicht, strahlenden Augen und lockigem grauem Haar. Mit seiner westlichen Kleidung und dem akzentfreien Englisch hätte er genauso gut zu einer US-amerikanischen Elite-Universität gepasst. Es stellte sich heraus, dass er etliche Jahre an der Columbia University in New York studiert hatte.
»Ich bin einerseits tief beeindruckt von der Frömmigkeit, die an jeder Ecke zu spüren ist, aber andererseits auch abgestoßen von dem ganzen Schmutz und Dreck«, fuhr Laurie fort. »Vor allem die Exkremente von Mensch und Tier.« Sie waren zahlreichen Kühen, streunenden Hunden und sogar ein paar Ziegen begegnet, die zwischen den Menschenmassen und all dem Unrat umherstreiften.
»Da will ich mich gar nicht herausreden«, meinte Jawahar. »Ich fürchte, so ist es seit mehr als 3000 Jahren, und so wird es auch die nächsten 3000 Jahre sein.«
Jawahar hatte sich
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