Montgomery & Stapleton 08 - Die Hand des Bösen
hinaus in die Sonne.
»Ich habe gute Neuigkeiten«, sagte Kashmira. »Es ist mir gelungen, alles zu arrangieren. Haben Sie einen Stift und ein Stück Papier zur Hand?«
»Ja«, erwiderte Jennifer. Sie holte ein kleines Notizbuch mit stabilem Rücken aus ihrer Schultertasche und klemmte das Handy zwischen Wange und Schulter fest, um sich die Flugdaten zu notieren. Als sie erfuhr, dass sie an diesem Nachmittag abfliegen, aber erst in den frühen Morgenstunden des Mittwoch ankommen würde, war sie entsetzt. »Ich hatte keine Ahnung, dass es so lange dauern würde.«
»Es ist ein langer Flug«, meinte Kashmira bestätigend. »Aber wir liegen schließlich auch am anderen Ende der Welt. Also, nach der Landung hier in Neu-Delhi gehen Sie bei der Passkontrolle an den Diplomatenschalter. Dort liegt das Visum für Sie bereit. Sobald Sie Ihr Gepäck haben und durch den Zoll kommen, werden Sie von einem Vertreter des Amal Palace Hotel erwartet. Er kümmert sich um Ihr Gepäck und bringt Sie zu Ihrem Fahrer.«
»Klingt eigentlich ganz einfach«, sagte Jennifer, während sie anhand der Abflugs- und Ankunftszeiten versuchte zu ermitteln, wie viele Stunden sie in der Luft sein würde. Ihr wurde schnell klar, dass sie das nicht konnte, ohne zu wissen, wie viele Zeitzonen dazwischen lagen. Zusätzlich würde sie auch die internationale Datumsgrenze überqueren, was sie vollends durcheinanderbrachte.
»Wir lassen Sie am Mittwochmorgen um acht Uhr von einem Wagen im Hotel abholen. Sind Sie damit einverstanden?«
»Ich denke schon«, sagte Jennifer. Wie würde sie sich wohl fühlen, nach einer halben Ewigkeit im Flugzeug? Sie wusste ja nicht einmal, wie viel Schlaf sie überhaupt bekommen würde.
»Wir freuen uns auf Ihren Besuch.«
»Danke.«
»Jetzt würde ich gerne noch einmal nachfragen, ob Sie sich mittlerweile vielleicht für eine Einäscherung oder Einbalsamierung entschieden haben?«
Jennifer hatte gerade angefangen, die Patientenbetreuerin ein wenig zu mögen, doch diese Frage machte sie ihr auf einen Schlag wieder unsympathisch. Hat sie denn gar kein Gespür?, dachte sie erstaunt bei sich. »Also, warum sollte ich denn innerhalb weniger Stunden meine Meinung ändern?«, fragte sie gereizt zurück.
»Die Klinikverwaltung hat mir noch einmal deutlich gemacht, dass sie der Meinung ist, es sei das Beste für alle, auch für den Leichnam Ihrer Großmutter, wenn wir die Angelegenheit möglichst zügig vorantreiben.«
»Tja, tut mir leid. Meine Einstellung hat sich nicht geändert, vor allem deshalb, weil ich so viel zu tun hatte, dass ich überhaupt nicht zum Nachdenken gekommen bin. Und außerdem möchte ich mich nicht von Ihnen gedrängt fühlen. Ich komme so schnell wie nur möglich nach Indien.«
»Wir drängen Sie ganz bestimmt nicht. Wir sprechen nur eine Empfehlung aus, was das Beste für alle wäre.«
»Ich glaube nicht, dass das für mich das Beste wäre. Ich hoffe, Sie können das verstehen, denn wenn ich nach meiner Ankunft feststellen muss, dass ohne meine Zustimmung Hand an den Leichnam meiner Großmutter gelegt wurde, dann mache ich einen Riesenaufstand. Das ist mein voller Ernst. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass die Gesetze bei Ihnen sich so gravierend von unseren unterscheiden. Der Leichnam fällt in meine Verantwortung, da ich die nächste Angehörige bin.«
»Ohne Ihre ausdrückliche Zustimmung würden wir mit Sicherheit nichts unternehmen.«
»Gut«, meinte Jennifer und beruhigte sich langsam wieder. Trotzdem war sie überrascht von der Heftigkeit ihrer Reaktion. Es war ihr durchaus klar, dass da vermutlich gerade eine Übertragung ihrer Gefühle stattfand, dass sie der Klinik und sogar Maria selbst die Schuld an dem, was geschehen war, gab. Sie trauerte nicht nur um ihre Großmutter, sondern war gleichzeitig auch wütend auf sie. Sie fühlte sich ungerecht behandelt. Warum hatte Maria ihr nicht vorher anvertraut, dass sie sich nach Indien verdrücken, sich einer schweren Operation unterziehen und anschließend sterben würde?
Nachdem das Telefonat beendet war, blieb Jennifer zunächst einmal stehen. Es würde vermutlich eine ganze Menge Zeit und Anstrengung kosten, ihr emotionales Chaos wieder in Ordnung zu bringen. Doch dann wurde ihr bewusst, wie spät es war und dass sie in wenigen Stunden ein Flugzeug erwischen musste. Sie hastete durch die Drehtür zurück ins Haus und steuerte die Notaufnahme an.
Wie üblich regierte dort das Chaos. Jennifer hielt Ausschau nach Dr. Neil McCulgan,
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