Montgomery & Stapleton 08 - Die Hand des Bösen
und ihre Mutter nichts mehr zu befürchten hätten, anders überlegt. Das war immer die größte Sorge gewesen, die ihrem Wunsch, Indien zu verlassen, im Weg gestanden hatte.
Cal Morgan seufzte. Während ihm diese ganze Geschichte noch einmal durch den Kopf gegangen war, war ihm klar geworden, dass das Vorhaben, amerikanische Bürger von einer Operation in Indien abzuhalten, wohl kaum der Weg war, den er sich ursprünglich vorgestellt hatte. Er schüttelte den Kopf und überlegte, was als Nächstes passieren würde. Doch das Unvorhersehbare ließ sich nun einmal nicht vorhersehen, und so beschloss er, sich eine Strategie für den Notfall zurechtzulegen. Falls alle Stricke reißen sollten, brauchte er einen Plan und die notwendigen Mittel, um aus Indien zu verschwinden, zumindest er und die drei anderen aus der Führungsspitze. Er nahm sich fest vor, das während der Sitzung anzusprechen, die für heute Vormittag, acht Uhr, angesetzt war.
Dann drehte er sich um und blickte auf seinen Wecker. Er musste um 6.45 Uhr aufstehen, wenn er vor dem Frühstück noch laufen wollte, und dann konnte er gleich noch einmal bei Veena vorbeischauen, um sicherzugehen, dass sie aufgestanden war und zur Arbeit gehen wollte. Die Ärzte, die ihr gestern Abend in der Notaufnahme den Magen ausgepumpt hatten, waren zwar der Meinung gewesen, dass ihr Körper aufgrund von Cals schnellem Eingreifen nur einen Bruchteil des Arabien absorbiert hatte, aber er musste sicher sein. Wenn sie am Tag nach Mrs Hernandez’ Ableben nicht zum Dienst erschien, dann konnte das, falls irgendjemand am natürlichen Tod der Patientin zweifelte, Misstrauen erregen. Außerdem war da die Sorge, dass Veena womöglich weit nach dem Ende ihrer Schicht im Krankenhaus gesehen worden war.
Also machte er sich in Joggingkleidung auf den Weg in den Gästeflügel. Als er um die letzte Ecke bog, sah er, dass Veenas Tür weit offen stand. Das wertete er als gutes Zeichen. Er klopfte an den Türrahmen, sagte Hallo und streckte den Kopf ins Zimmer, alles gleichzeitig. Veena trug einen Bademantel und saß auf ihrem Bett. Außer ihren leicht geröteten Augen wirkte sie völlig normal und so schön wie immer. Sie war nicht allein. Santana saß ihr gegenüber auf Samiras Bett.
»Ich bin froh, sagen zu können, dass es unserer Patientin gut geht«, sagte Santana. Sie war fünf Jahre älter als Cal. Wie er trug auch sie Joggingkleidung, allerdings war ihr Outfit sehr viel schicker: eine schwarz leuchtende hautenge Hose und ein ebenso eng anliegendes schwarzes kurzärmeliges Synthetik-Shirt. Die dichten dunklen Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden und hochgesteckt.
»Großartig!«, sagte Cal mit voller Überzeugung. »Ich gehe davon aus, dass du zur Arbeit gehst?«, wandte er sich dann an Veena.
»Selbstverständlich«, erwiderte sie. Ihre Stimme klang leicht betäubt, und genauso fühlte sie sich auch.
»Wir haben über das, was gestern Abend passiert ist, gesprochen«, sagte Santana unverblümt.
»Großartig«, wiederholte Cal, deutlich weniger begeistert. Er fühlte sich automatisch unwohl, wenn es um ein Thema ging, das ihm selbst unangenehm gewesen wäre, wenn es ihn betroffen hätte.
»Sie hat mir versichert, dass sie es nicht noch einmal versuchen wird.«
»Das ist schön«, erwiderte Cal und dachte dabei: Das will ich, verdammt noch mal, auch hoffen.
»Sie hat gedacht, dass sie durch das, was sie getan hat, die Götter gnädig stimmen kann: ein Leben für ein Leben, sozusagen. Aber jetzt haben die Götter sie gerettet, und sie hat das Gefühl, sie sollte weiterleben. Sie glaubt, dass das, was geschehen ist, ihr Karma war.«
Von wegen, die Götter haben sie gerettet, dachte Cal, behielt es aber für sich. Stattdessen sagte er: »Ich bin unglaublich erleichtert, denn wir brauchen sie wirklich dringend.« Er blickte Veena forschend ins Gesicht und fragte sich, ob sie Santana auch von dem aggressiven Liebesspiel und den verstörenden Todeskrämpfen der Patientin erzählt hatte, aber ihre Miene war genauso unergründlich und ernst wie immer. Als Cal gestern Abend nach seiner Rückkehr aus der Notaufnahme mit den anderen Führungskräften gesprochen hatte, da hatte er das alles auch nicht erwähnt … obwohl er nicht einmal genau sagen konnte, wieso. Am naheliegendsten war die Erklärung, dass es ihm peinlich war, so eindeutig zum Objekt einer sexuellen Aggression geworden zu sein. Cal war es gewohnt, Frauen zu manipulieren, und nicht, von ihnen manipuliert
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