Montgomery & Stapleton 08 - Die Hand des Bösen
Indien hinterherfliegen sollst? Ist das die Frage, die du mir stellen willst?«
»Genau. In einem Punkt bin ich mir jedenfalls absolut sicher: Sie ist eigensinnig. Sie bildet sich blitzschnell eine Meinung, und dann verbeißt sie sich darin wie ein Hund in einen Knochen. Im Augenblick ist sie stinksauer auf mich, und ich kann das gut verstehen. Sie hat mich ins Vertrauen gezogen und mich um Hilfe gebeten, und ich habe sie abgewiesen. Dadurch habe ich gewissermaßen ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Wenn ich ihr jetzt nicht hinterherfliege, dann kriege ich nie wieder eine Chance.«
»Dann mach es! Das ist meine Antwort. Wahrscheinlich habt ihr die Sache mit der toten Großmutter in einer halben Stunde organisiert. Dann könnt ihr euch in Ruhe aussprechen, und du setzt die Beziehung zu ihr nicht aufs Spiel.«
»Dann findest du also, dass ich fahren soll?«
»Auf jeden Fall. Du hast doch erzählt, dass es dir in Indien super gefallen hat, also kannst du sogar zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.«
»Ich habe dir erzählt, dass ich es interessant fand.«
»Interessant oder super, wo ist denn da der Unterschied? Um deine beruflichen Pflichten brauchst du dir jedenfalls keine Sorgen zu machen.«
»Ich habe jetzt erst mal vier Tage frei.«
»Siehst du? Das sollte so sein. Flieg! Und was deinen Dienst nach diesen vier Tagen angeht: Mach dir keine Gedanken. Ich bin dir was schuldig. Ich springe für dich ein, und wenn das nicht geht, dann organisiere ich einen Ersatz.«
»Ich werde mit Sicherheit länger brauchen. Allein der Flug dauert ja vier Tage.«
»Keine Sorge, okay? Ich habe gesagt, dass ich einspringe. Weißt du, wo sie abgestiegen ist?«
»Ja.«
»Mehr brauchst du nicht zu wissen. Wann fliegst du?«
»Morgen, schätze ich mal«, erwiderte Neil und fragte sich, ob er sich gerade zu etwas überreden lassen hatte, das komplizierter und stressiger werden würde, als er ursprünglich gedacht hatte.
Wenn er das gewusst hätte …
Kapitel 8
Dienstag, 16. Oktober 2007
19.45 Uhr
Neu-Delhi, Indien
G anz automatisch zeigte Samira Patel den beiden Sikhs, die den Haupteingang des Queen Victoria Hospital bewachten, ein scheues Lächeln. Sie trug ihre Schwesterntracht, genau wie Veena am Vorabend auch. Die Türsteher reagierten nicht auf ihre Koketterie, aber sie hatten sie ohne Zweifel erkannt. Alle beide streckten die Hand aus, zogen jeweils einen der beiden Türflügel auf und verbeugten sich, während sie das Gebäude betrat.
Durell hatte ihr am Nachmittag etliche Stunden lang genaue Anweisungen gegeben, bevor Samira ihre Mission in Angriff nahm. Dabei hatte er ihr auch gesagt, was sie machen sollte, sobald sie die Klinik betreten hatte. Trotz der Aufregung befolgte sie seine Instruktionen aufs Wort. Sie ging durch das Foyer und vermied jeden Augenkontakt. Dann nahm sie nicht den Fahrstuhl, sondern ging über die Treppe in die Bibliothek im zweiten Stock. Sie schaltete das Licht ein, holte ein paar orthopädische Fachbücher aus dem Regal und breitete sie auf einem der Tische aus. Sie schlug sogar eine Seite auf, die sich mit dem Einsetzen von Knieprothesen befasste. Das war die Operation, der sich ihr Patient, Herbert Benfatti, an diesem Morgen unterzogen hatte. Das Ganze war Durells Idee gewesen. Er wollte, dass sie eine eindeutige und nachvollziehbare Erklärung für ihre Anwesenheit im Krankenhaus hatte, falls eine der dienstälteren Schwestern entsprechende Fragen stellte.
Sobald sie die Bibliothek ihren Vorstellungen entsprechend präpariert und Benfattis Krankenakte am Bibliothekscomputer auf einen USB-Stick übertragen hatte, betrat sie erneut das Treppenhaus und stieg in den fünften Stock. Dort befand sich der Operationstrakt. Mittlerweile hatte ihre Aufregung sich in richtiggehende Angst verwandelt, mehr als sie erwartet hatte, und sie fragte sich, wieso sie sich eigentlich so sehr darum gerissen hatte. Andererseits wusste sie ganz genau, wieso. Veena Chandra und sie hatten sich in der dritten Klasse kennengelernt und waren seither zwar beste Freundinnen, aber trotzdem hatte Samira sich immer unterlegen gefühlt. Das Problem war, dass Samira Veena um ihre Schönheit beneidete und wusste, dass sie damit nicht konkurrieren konnte. Also wollte sie zumindest auf allen anderen Gebieten die Bessere sein. Samira war überzeugt, dass Veenas Haare dunkler und leuchtender waren, dass ihre Haut goldener und ihre Nase kleiner und wohlgeformter war als ihre.
Doch trotz dieser
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