Montgomery & Stapleton 08 - Die Hand des Bösen
gesehen werden sollte, entwickelte sich so langsam zu einem schlechten Witz.
»Bis wann müssen Sie denn arbeiten?«
»Das kommt drauf an«, log Samira. »Aber jetzt gehe ich bald nach Hause. Wie geht es denn unserem Patienten? Ich wollte nur noch mal kurz nach ihm sehen.«
»Ach, wie reizend von Ihnen! Es geht ihm eigentlich ganz ordentlich, aber er kann nicht gut Schmerzen aushalten, und im Moment hat er noch große. Die Schwester hat ihm gerade eben noch ein zusätzliches Schmerzmittel gegeben. Ich hoffe, es hilft. Gehen Sie doch kurz rein und sagen Sie ihm Guten Tag. Er freut sich bestimmt, Sie zu sehen.«
»Ich weiß nicht so recht. Er hat gerade erst eine schmerzstillende Spritze bekommen. Ich will ihm ja nicht auf die Nerven gehen.«
»Sie gehen ihm doch nicht auf die Nerven. Kommen Sie mit!« Mrs Benfatti packte Samira am Ellbogen und brachte sie ins Zimmer ihres Mannes. Das Licht war heruntergedimmt, doch der große Flachbildfernseher, auf dem BBC zu sehen war, sorgte für ausreichende Beleuchtung. Mr Benfatti lag halb aufgerichtet im Bett. Sein linkes Bein steckte in einer Apparatur, die langsam, aber stetig mehrmals pro Minute das Kniegelenk bis auf dreißig Grad anwinkelte.
»Herbert, Lieber«, rief Mrs Benfatti über den Ton des Fernsehers hinweg. »Sieh mal, wer da ist.«
Mr Benfatti nahm die Fernbedienung und stellte den Ton leiser, dann blickte er zu Samira herüber. Er erkannte sie und machte ebenfalls, genau wie seine Frau, eine Bemerkung über ihren langen Arbeitstag.
Noch bevor Samira etwas sagen konnte, schaltete sich Mrs Benfatti ein. »Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber ich bin vollkommen erledigt. Ich gehe zurück ins Hotel und falle dort ins Koma. Gute Nacht noch einmal, Lieber«, sagte sie und gab Herbert einen Kuss auf die breite Stirn. »Ich wünsche dir einen guten Schlaf.«
Mr Benfattis rechte Hand winkte schwach. Die linke Hand mit der Infusionsnadel blieb vollkommen regungslos liegen. Mrs Benfatti verabschiedete sich von Samira und verschwand.
Samira steckte jetzt in einer unangenehmen Zwickmühle. Sie hatte kein Interesse, mit diesem Mann ein Gespräch anzufangen, wo sie eigentlich ihren Plan durchführen wollte, konnte aber auch nicht einfach nur stehen bleiben. Und außerdem: War die Begegnung mit Mrs Benfatti nicht noch ein Grund mehr, das Ganze abzublasen? Das Einzige, was sie mit Sicherheit wusste, war, dass das, was ihr so einfach erschienen war, sich gerade als das glatte Gegenteil herausstellte. Unfähig, eine Entscheidung zu treffen, blieb Samira einfach stumm und wie angewurzelt stehen.
Mr Benfatti wartete einen Augenblick ab, dann sagte er: »Kann ich vielleicht etwas für Sie tun, zum Beispiel in die Küche laufen und eine Kleinigkeit zu essen besorgen?« Er kicherte kurz über seinen Versuch, witzig zu sein.
»Wie geht es denn Ihrem Knie?«, erkundigte sich Samira und versuchte, dabei ihre Gedanken zu ordnen.
»Oh, super«, erwiderte Mr Benfatti spöttisch. »Ich könnte auf der Stelle losjoggen.«
Unbewusst steckte Samira die Hand in die Tasche. Ihre Finger fanden die volle Spritze. Erschrocken fiel ihr wieder ein, warum sie hier war.
Während Mr Benfatti sich in detaillierten Schilderungen seiner Schmerzen erging, überlegte Samira, was sie jetzt machen sollte. Als ihr klar wurde, dass sie niemals eine rationale Entscheidung treffen konnte, und da sie auch keine Kristallkugel zur Hand hatte, entschied sie sich für die einfachere Lösung. Sie würde einfach ihrem spontanen Impuls nachgeben und wie geplant weitermachen. Was letztendlich den Ausschlag gegeben hatte, war die Erkenntnis, dass Mr Benfatti vermutlich erst in einigen Stunden entdeckt werden würde, da seine Frau gerade erst gegangen war und die Schwester ihm eine schmerzstillende Spritze gegeben hatte. Das bedeutete, dass Samira viel Zeit hatte, um sich in der Zwischenzeit möglichst weit vom Tatort zu entfernen. Sie holte die Spritze aus der Tasche. Mit den Zähnen zog sie die Schutzhülle ab und griff nach dem Infusionsport unterhalb des Keimfilters.
Mr Benfatti hatte registriert, wie Samira plötzlich an sein Bett getreten war, hatte die Spritze gesehen und seine Schmerzenstirade unterbrochen. »Was ist denn das?«, wollte er wissen. Als Samira ihn nicht beachtete und die Nadel am Infusionsport ansetzte, griff er mit der rechten Hand nach Samiras Handgelenk. Dann begegneten sich ihre Blicke. »Was geben Sie mir da?«
»Etwas gegen Ihre Schmerzen«, improvisierte Samira nervös. Dass
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