Montgomery & Stapleton 08 - Die Hand des Bösen
den harten Fußboden geprallt und dabei zersprungen wäre, wäre das eine echte Katastrophe gewesen, da sie nicht gewagt hätte, es aufzuwischen. Jeder Glassplitter hätte die gleiche Wirkung gehabt wie ein Curare-Giftpfeil im Dschungel von Peru. Sie war sich durchaus bewusst, welche Ironie darin gelegen hätte, wenn sie am nächsten Morgen tot im OP aufgefunden worden wäre.
Ausgesprochen erleichtert machte sich Samira dann auf den Weg zurück ins Treppenhaus. Sie ging davon aus, dass sie jetzt, wo dieser Teil ihres Auftrages hinter ihr lag, keine Probleme mehr haben würde. Doch was wusste sie schon?
Sie ging zwei Stockwerke nach unten und schaute auf die Uhr. Es war kurz nach acht. Ihre einzige Sorge war Mrs Benfatti, die sie heute Nachmittag kennengelernt hatte. Ob sie wohl immer noch bei ihrem Mann war? Immerhin war Herbert Benfatti erst heute Morgen operiert worden. Es konnte also gut sein, dass die Narkose immer noch nachwirkte und dass er sehr müde oder aber bereits eingeschlafen war. Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden. Sie musste nachschauen.
Samira stieß die Tür zum dritten Stockwerk auf und schaute links und rechts den Flur entlang. Beim hell erleuchteten Stationstresen konnte sie zwei Krankenschwestern erkennen. Die anderen beiden waren also irgendwo in einem der Krankenzimmer oder machten gerade Pause. Gewissheit gab es nicht.
Ihre Ängste erreichten einen neuen Höhepunkt, und sie sagte sich: Jetzt oder nie. Sie holte tief Luft, trat hinaus in den Flur und ging auf Mr Benfattis Zimmer zu. Alles ging gut, so lange, bis sie vor seiner Tür angelangt war. Sie stand ungefähr fünfzehn Zentimeter weit offen. Samira war nun an einem Punkt angelangt, wo sie die ganze Sache nur noch möglichst schnell hinter sich bringen wollte. Sie wollte gerade anklopfen, da erstarrte sie mit erhobener Hand. Zu ihrem unsagbaren Schrecken war die Tür im selben Augenblick aufgezogen worden. Unwillkürlich stieß sie einen spitzen Schrei aus und sah sich vollkommen unerwartet einer der Spätdienstschwestern gegenüber. Samira kannte nur ihren Vornamen. Es war die bemerkenswert füllige und unfreundliche Charu, die den Türrahmen voll und ganz ausfüllte.
Im Gegensatz zu Samiras Verblüffung reagierte Charu verärgert darüber, dass sich ihr jemand in den Weg stellte. Sie musterte Samira abschätzig von Kopf bis Fuß und sagte in nicht gerade freundlichem Ton: »Was machst du denn hier? Du arbeitest doch tagsüber.«
Charu und Samira kannten einander lediglich von den Übergabegesprächen bei Schichtwechsel, wo die Tagesschwestern den Abendschwestern über den Zustand und die speziellen Bedürfnisse der einzelnen Patienten berichteten.
»Ich wollte bloß noch mal nach meinem Patienten sehen«, sagte Samira, und ihre Stimme klang unsicherer, als ihr lieb war. »Ich war in der Bibliothek und habe ein bisschen was über Knieprothesen nachgelesen.«
»Ehrlich?« In Charus Stimme lag ein Hauch von Zweifel.
»Ehrlich«, erwiderte Samira. Sie versuchte, selbstbewusst zu klingen.
Charu schenkte Samira einen ungläubigen Blick, beließ es aber dabei. Stattdessen sagte sie: »Mrs Benfatti ist noch da.«
»Will sie vielleicht bald gehen? Ich wollte Mr Benfatti noch ein paar Fragen zu seinen Symptomen stellen.«
Charu zuckte bloß mit den Schultern und schob sich an ihrer Kollegin vorbei.
Samira sah ihr nach, wie sie in Richtung Tresen ging. Sie war unschlüssig, was sie jetzt machen sollte. Sie konnte schlecht so lange auf dem Flur herumlungern, bis Mrs Benfatti gegangen war, aber wenn sie wieder in die Bibliothek zurückkehrte, bekam sie nicht mit, wann die Frau wegging. Und außerdem: Sollte sie ihren Versuch nach dieser Begegnung mit Charu vielleicht lieber abbrechen? Das Blöde daran war, dass es womöglich eine ganze Woche dauerte, bis sie wieder einen amerikanischen Patienten bekam, der in der Vergangenheit bereits Herzprobleme gehabt hatte und sich somit als Zielperson eignete. Dann konnte sie das gute Gefühl aus dem direkten Vergleich mit Veena vermutlich vergessen.
Samira überlegte immer noch, da erlebte sie bereits die nächste Überraschung. Dieses Mal handelte es sich um Mrs Lucinda Benfatti, eine mittelgroße, kräftige Frau Mitte fünfzig mit vielen kleinen Dauerwellen. Sie hatte Samira im Lauf des Tages bereits gesehen und erkannte sie sofort. »Meine Güte, Sie haben aber wirklich einen langen Arbeitstag.«
»Manchmal«, stammelte Samira. Ihr Auftrag, bei dem sie eigentlich von niemandem
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