Montgomery & Stapleton 10 - Testphase
Patent-Hysterie hatte man die Entwicklung in Gang gehalten, indem alle Fortschritte unverzüglich veröffentlicht wurden. Was das Problem noch verschärfte, war, dass die Patentämter sowohl in den USA als auch in Europa lebenslange Patente ausgaben, was sie von Rechts wegen nicht durften, wobei Europa dabei besser abschnitt als Amerika. Ben konnte es kaum glauben, wenn er las, was für Patente die US-Behörde in letzter Zeit genehmigt hatte. Häufig fragte er sich, wie irgendjemand ein Patent auf einen Vorgang rechtfertigen konnte, den die Evolution in einem Entwicklungszeitraum von Millionen, vielleicht sogar Milliarden von Jahren hervorgebracht hatte. Dieses verrückte Rangeln um Patente würde die Forschung nicht nur verlangsamen, sondern sie könnte dadurch regelrecht zum Stoppen kommen. Niemand würde mehr in der Lage sein, etwas zu tun, ohne ein Patent eines anderen zu verletzen – eine Situation, die zu gerichtlichen Auseinandersetzungen führen würde, von denen es heute bereits mehr als genug gab. Ben beschrieb diesen Umstand als »Sand im Getriebe der medizinischen Forschung«, eine Konsequenz, die iPS USA versuchte zu umgehen, zumindest auf dem Schlachtfeld um induzierte pluripotente Stammzellen.
»Rufen Sie iPS RAPID an«, rief Ben durch die offene Verbindungstür. »Sie haben absolut recht, was diesen Artikel betrifft. Finden Sie den Namen des Geschäftsführers heraus, und holen Sie ihn ans Telefon!«
Jacqueline steckte ihren Kopf nochmal durch die Türöffnung, und ihre roten Haare loderten im Sonnenschein, der in ihr Büro flutete.
»Ist Ihnen denn nicht aufgefallen, dass iPS RAPID in San Diego beheimatet ist, wo es gerade kurz nach sechs Uhr morgens ist?«, erwiderte Jacqueline geduldig.
Einen Moment lang starrte Ben sie an, ohne die Konturen in ihrem Gesicht ausmachen zu können. Es dauerte etwas, bis er verstand, dass es zu früh war, um an der Westküste der USA anzurufen. »Dann rufen Sie mir Carl her«, sagte er. »Was steht heute Morgen bei mir auf dem Plan?« Er dachte daran, alles andere abzusagen, damit er sich nur noch um iPS RAPID kümmern konnte.
»Außer einigen Meetings im Haus haben Sie ein Treffen mit Michael Calabrese um halb elf in seinem Stadtbüro. Haben Sie das vergessen?«
»Ja, habe ich«, gab Ben zu. Er beglückwünschte sich dafür, eine so kompetente Assistentin wie Jacqueline eingestellt zu haben, die seine Termine so fantastisch managte. Er betrachtete sich selber eher als Konzeptmenschen. Obwohl es wichtig war, sich mit diesem neuen Unternehmen zu beschäftigen, war es auf lange Sicht wichtiger, sich mit Michael zusammenzusetzen und die Mafia-Yakuza-Verbindung zu beenden. Intuitiv wusste er, dass diese Verkettung immer schwerer zu lösen wäre, je länger sie dauerte. Er war sich auch bewusst, dass er wahrscheinlich zurücktreten müsste, sollten Informationen über diese geschäftliche Zusammenarbeit jemals an die Öffentlichkeit geraten, zumindest aber könnte er den geplanten Börsengang vorerst in den Wind schreiben. Den Gedanken an eine andere Möglichkeit verbot er sich selbst: die einer Klage gegen ihn.
Da Jacqueline noch unterwegs auf ihrer Suche nach Carl war, wandte sich Ben wieder dem Artikel zu, und sinnierte darüber, welche Art kleiner Moleküle an dem Vorgang beteiligt war. Er vermutete, dass es sich hierbei womöglich um eine Art Unterdrückung des Wachstumsfaktorinhibitors handelte, aber das war im Grunde zu offensichtlich. Während er weiterlas, staunte er über die Geschwindigkeit, mit der biomedizinische Entdeckungen gemacht wurden. Besonders, da er wusste, dass solche Entdeckungen unweigerlich Möglichkeiten eröffneten, die ihrerseits wieder zu neuen Entdeckungen führten, in einem immer schneller werdenden selbsterfüllenden Prozess. Wie er wusste, gab es dabei Entdeckungen und Entdeckungen, also grandiose und nicht so wichtige. Diese neue Entdeckung stufte er als reichlich grandios ein, würde sie doch dazu beitragen, iPS-Zellen kommerziell verwenden zu können.
»Du wolltest mich sehen?«, fragte eine Stimme wenige Minuten später vom Flur aus.
Dort stand Carl, die Krawatte ein Stück gelöst, der oberste Hemdknopf stand offen, er hatte seine Ärmel bis fast zu den Ellbogen aufgekrempelt. Er war das lebende Bild eines hart arbeitenden Buchhalters, und nicht das eines Finanzdirektors – ein Grund dafür, dass er in seinem Job so gut war. Er war sich für keine Arbeit zu schade. Er war in jeden Aspekt der Firmenfinanzen einbezogen, von
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