Montgomery & Stapleton 10 - Testphase
Schreibtisches heraus, wobei er sich gezwungen sah, seinen Bauch einzuziehen. Trotzdem war kaum Platz genug vorhanden, die Schublade zu öffnen. Er fingerte einen Moment lang durch den Inhalt und brachte dann ein zerknittertes Stück Papier zu Tage. »Detective Ron Steadman, der manchmal auch im zwanzigsten Bezirk arbeitet.« Er schrieb die Telefonnummer rasch auf ein Stück Notizpapier und gab sie ihr. »Wenn Sie ihn anrufen, wählen Sie besser die Midtown North-Nummer, weil er sich zu neunundneunzig Prozent seiner Arbeitszeit dort aufhält.«
»Das werde ich tun«, sagte Laurie. »Lassen Sie es mich bitte wissen, wenn Sie zwischenzeitlich etwas hören.«
»Mach’ ich!«, erwiderte Murphy fröhlich.
Anschließlich stieg Laurie die Treppe zur Anthropologischen Abteilung hoch, die nach dem 11. September 2001 erheblich erweitert worden war, da nach den damaligen Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon die Identifizierung ein einziger Alptraum gewesen war. Sie klopfte an die verschlossene Glastür zu Hank Monroes Büro, dem Direktor der Identifizierungsbehörde. Ursprünglich war die Identifizierung allein der Bereich von Sergeant Murphy als Verbindungsoffizier zur Vermisstenstelle des NYPD gewesen, aber nach dem elften September wurde der Job zu umfangreich, so wurde eine Abteilung direkt im Haus eingerichtet.
»Herein!«, rief eine Stimme. Hank Monroe war mittelgroß und hatte ein sehr kantiges Gesicht. »Ich heiße Laurie Stapleton«, stellte Laurie sich vor. Hank war ziemlich neu beim OCME, so dass er und Laurie sich bisher noch nicht begegnet waren. Nach einem freundlichen Schwatz fragte Laurie, ob Hank der Fall des nicht identifizierten Mannes bekannt sei, der gestern spät am Nachmittag geliefert worden war.
»Noch nicht«, gestand Hank. »Normalerweise bekomme ich eine Nachricht von der Nachtschicht im Leichenschauhaus, aber diesmal nicht. Vielleicht kam der Tote zum Schichtwechsel, aber das ist kein Problem. Was wissen Sie über ihn?«
Laurie gab ihm eine schnelle Zusammenfassung ihres Falles mit »John Doe« – eine Bezeichnung für nicht identifizierte männliche Personen.
»Damit lässt sich nicht allzu viel anfangen«, sagte Hank. Er hatte nach Stift und Block gegriffen, um die Kerndetails zu notieren, die auf die Begriffe asiatisch, gepflegt und trug Ehering begrenzt waren. »Keine Narben oder andere charakteristischen Merkmale?«
»Leider nicht.«
»Kann die Vermisstenstelle helfen?«
»Nein, bisher nicht.«
»Es ist noch früh. Aber ich nehme an, das ist Ihnen ja klar«.
»Ja, schon, aber dieser Fall ist aus persönlichen Gründen für mich wichtig.«
Hank starrte Laurie an, verwirrt darüber, dass die Identifizierung eines unbekannten Toten etwas Persönliches für einen Gerichtsmediziner sein konnte, aber er sah davon ab, weitere Fragen zu stellen. Gleichzeitig wollte er, dass seine Arbeitskollegin die Sache realistisch sah.
»Ich werde mich bemühen, Ihnen zu helfen«, sagte er. »Aber Fälle wie dieser sind sehr schwer zu lösen, wenn sich nicht eine Ehefrau, ein Arbeitskollege, ein Freund oder ein Kind meldet. Aber der kritische Zeitraum sind diese ersten vierundzwanzig Stunden. Wenn niemand die Person sucht, fallen die Chancen, jemals eine Identifizierung durchführen zu können, steil ab. Das macht sich kaum jemand klar in den Zeiten der DNS-Technologie, aber so sieht die Wirklichkeit aus.«
»Das klingt nicht wirklich ermutigend«, meinte Laurie.
»Na ja, lassen Sie uns versuchen, das Ganze positiv zu sehen. Wir sind noch nicht über die vierundzwanzig Stunden-Grenze hinaus.«
Laurie fühlte eine wachsende Niedergeschlagenheit in sich aufsteigen, als sie sich bei Hank für sein Versprechen bedankte, Augen und Ohren offen zu halten und auch seine Kontaktperson bei der Vermisstenstelle beim New Yorker Police Department an der One Police Plaza anzurufen. Während sie langsam die Treppe hinauflief, beschlich sie der Gedanke, dass sie ihren ersten Tag bei der Arbeit nicht gerade erfolgreich abschließen würde. Sie überlegte, ob sie ihren Job nicht besser aufgeben und sich ganz dem Mutterdasein widmen sollte, von dem sie jetzt wusste, dass es viel fordernder war, als sie jemals geahnt hätte. Sie fragte sich, was Jack wohl davon halten würde, wenn sie ihm diese Überlegung vorstellte, und ob sie von einem Gehalt leben konnten. So eng, wie es jeden Monat immer wieder um ihre Finanzen stand, würde es ohne ihr Einkommen schwierig werden, und sie würden
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