Montgomery u Stapleton 01 - Blind
würde. Und beschäftigt zu sein bedeutete, sie konnte nicht über ihre Situation nachdenken: Sie war arbeitslos in einer Stadt, in der zu leben nicht eben billig war, und vielleicht war sie ganz aus der Gerichtsmedizin raus. Sie konnte kaum mit einer Empfehlung Binghams rechnen. Aber daran wollte sie jetzt nicht denken. Statt dessen wollte sie weitermachen und mehr Informationen für ihre Serie sammeln. Drei weitere Überdosisfälle standen zur Untersuchung an. Wie wurden die Leichen entdeckt, und hatte man die Verstorbenen an jenem verhängnisvollen Abend in Begleitung zweier Männer in ihre Wohnung gehen sehen?
Innerhalb einer Stunde wurde Laurie im Haus von Kendall Fletcher fündig, und es klang alles sehr vertraut. Fletcher war zum Joggen gegangen, aber schon bald wieder zurückgekommen mit zwei Männern. Der Portier sah die beiden Männer nicht wieder hinausgehen. Einige Stunden nachdem Fletcher zurückgekommen war, rief ein anonymer Mieter an und beschwerte sich über Lärm in 25G. Der Mieter befürchtete, jemand in 25G könnte sich verletzt haben. Der Hausmeister ging der Sache nach, und so wurde Fletchers Leiche entdeckt.
Mit Stephanie Haberlin hatte Laurie weniger Glück. Die Frau wohnte in einem in Eigentumswohnungen umgewandelten Backsteinhaus ohne Portier. Laurie beschloß, diesen Fall zunächst zu übergehen und sich dem dritten und letzten Tatort zuzuwenden.
Yvonne Andre wohnte in einem ähnlichen Haus wie Kendall Fletcher. Laurie zeigte ihre Dienstmarke. Der Portier, der sich als Timothy vorstellte, war sehr hilfsbereit. Wie Kendall Fletcher hatte auch Ms. Andre das Haus in Begleitung zweier Männer betreten. Timothy konnte die Männer zwar nicht beschreiben, erinnerte sich aber genau an ihr Kommen.
Als Laurie fragte, wer die Leiche gefunden habe, berichtete Timothy, das sei der Hausmeister Jose gewesen. Laurie fragte, ob sie ihn sprechen könne. Timothy rief einen hageren Mann in einer braunen Uniform, der in der Eingangshalle gerade ein Möbelstück reparierte. Jose kam sofort zu ihnen herüber. Laurie zeigte ihm ihre Dienstmarke.
"Wie haben Sie die Leiche gefunden?" fragte sie.
"Der Nachtportier rief mich an und bat mich, in der Andre-Wohnung nachzusehen."
"Lassen Sie mich mal raten. Der Nachtportier war von einem Mieter angerufen worden, der sich über seltsame Geräusche aus der Andre-Wohnung beklagte."
Jose und Timothy sahen Laurie überrascht an.
"Ah", sagte Jose mit einem Lächeln. "Sie haben mit der Polizei gesprochen."
"Wo in der Wohnung haben Sie die Leiche gefunden?" fragte Laurie.
"Im Wohnzimmer", antwortete Jose.
"Wie sah die Wohnung aus?" fragte Laurie weiter. "War irgend etwas kaputt? Sah es aus wie nach einem Kampf?"
"Ich habe mich gar nicht richtig umgesehen", sagte Jose.
"Nicht, als ich Ms. Andre entdeckte. Die Polizei war natürlich da, aber niemand hat etwas angerührt. Möchten Sie die Wohnung sehen?"
"Gern", sagte Laurie.
Sie gingen direkt zur Wohnung von Yvonne Andre im dritten Stock. Jose schloß die Tür mit seinem Generalschlüssel auf und trat beiseite.
Laurie ging als erste hinein. Sie hatte noch keine fünf Schritte gemacht, als sie fast mit einer elegant gekleideten Frau mittleren Alters zusammengestoßen wäre, die durch das Geräusch des Schlüssels im Schloß aufmerksam geworden war. Die Frau sah sehr gut aus, obwohl sie den Eindruck machte, als hätte sie geweint. Sie hielt ein zusammengeknülltes Taschentuch in der Hand.
"Entschuldigen Sie", sagte Laurie erschrocken. Sie war entsetzt, daß jemand in der Wohnung war.
Die Frau wollte gerade etwas sagen, als sie Jose erkannte.
"Es tut mir leid, Mrs. Andre", entschuldigte Jose sich. "Ich wußte nicht, daß Sie hier sind. Dies ist Dr. Montgomery vom Gerichtsmedizinischen Institut."
"Wer ist da, Liebes?" In der Küchentür erschien ein großer, grauhaariger Mann.
"Es ist der Hausmeister", erklärte Mrs. Andre. "Und dies ist Dr. Montgomery vom Gerichtsmedizinischen Institut."
"Vom Institut hier in Manhattan?" erkundigte Mr. Andre sich.
"Ja", sagte Laurie. "Es ist mir furchtbar peinlich, Sie durch mein Eindringen belästigt zu haben. Ich hatte keine Ahnung, daß Sie hier sind."
"Ich auch nicht", sagte Jose rasch.
"Es ist schon gut", lenkte Mrs. Andre ein. Sie betupfte mit dem Taschentuch die Augenwinkel und blickte sich wehmütig im Wohnzimmer um. "Wir sind gerade einige von Yvonnes Sachen durchgegangen."
"Wenn Sie mich bitte entschuldigen", sagte Mr. Andre. Er machte abrupt kehrt und
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