Montgomery u Stapleton 01 - Blind
wirklich wieder in den Aufwachraum, um nach meinem letzten Patienten zu sehen. Schön, Sie wiedergesehen zu haben."
Damit war er draußen.
Unverrichteter Dinge ging Lou zu seinem Wagen zurück. Er war so sicher gewesen, den entscheidenden Hinweis erhalten zu haben, als Patrick OBrian zu ihm ins Büro gekommen war und ihm mitgeteilt hatte, daß die toten Patienten alle auf die gleiche Operation gewartet hatten. Jetzt schien er erneut in einer Sackgasse gelandet zu sein.
Er fuhr los und war sofort im Verkehr eingekeilt. Die Rush-hour in New York war immer mörderisch, und an Regentagen war es noch schlimmer. Als er zum Gehweg hinüberblickte, merkte er, daß die Fußgänger fast ebenso schnell vorankamen wie er.
Da er Zeit zum Nachdenken hatte, versuchte er, erneut die Fakten des Falles durchzugehen. Es fiel ihm schwer, dabei den Menschen Dr. Jordan Scheffield außer acht zu lassen. Wie er diesen Kerl haßte! Und das nicht nur wegen Laurie, obwohl das der Hauptgrund war. Der Typ war so selbstgefällig und so gönnerhaft. Er wunderte sich, daß Laurie das nicht sah.
In dem Moment fuhr der Hintermann auf Lou auf. In einem Anfall von Wut trat Lou auf die Bremse, hielt an und sprang aus dem Wagen. Der Fahrer hinter ihm war ebenfalls ausgestiegen.
"Passen Sie doch auf, wohin Sie fahren", sagte Lou. Er ging nach hinten, um sich seinen Wagen anzusehen. An seiner Stoßstange war etwas Lack vom Wagen des anderen. Er hätte zwar den strengen Polizisten spielen können, entschied sich jedoch, es nicht zu tun. Das machte er selten; es war zu anstrengend.
"Tut mir leid", sagte der andere Fahrer.
"Nichts weiter passiert", sagte Lou. Er stieg wieder in seinen Wagen. Während er sich langsam vorschob, begann der Schimmer einer Idee in seinem Kopf Gestalt anzunehmen. Wie hatte er das übersehen können! Einen Augenblick starrte er vor sich hin, wie hypnotisiert von der Lösung, die sich so unvermittelt herauskristallisiert hatte. Er war so in Gedanken versunken, daß der Hintermann ihn anhupen mußte weiterzufahren.
"Heiliger Strohsack", sagte Lou laut. Er fragte sich, warum ihm das nicht eher eingefallen war. So unglaublich aberwitzig es war, alle Fakten paßten zusammen.
Er griff zum Funktelefon und rief Laurie im Institut an. Die Telefonistin sagte ihm, daß Laurie gekündigt worden sei.
"Was?" fragte Lou entgeistert.
"Sie ist gefeuert worden", sagte die Telefonistin und legte auf.
Lou wählte sofort Lauries Privatnummer. Er hätte sich ohrfeigen mögen, daß er nicht schon früher versucht hatte, sie anzurufen, um zu hören, was bei dem Gespräch mit ihrem Chef herausgekommen war. Offensichtlich war es nicht gut ausgegangen.
Lou ärgerte sich, als sich nur Lauries Anrufbeantworter meldete. Er hinterließ die Nachricht, sie möge ihn umgehend im Büro oder zu Hause anrufen.
Lou hängte ein. Laurie tat ihm leid. Ihre Stellung zu verlieren, mußte ein schwerer Schlag für sie gewesen sein. Sie war einer der wenigen Menschen, die ihre Arbeit so liebten wie er die seine.
"Da ist sie!" rief Tony. Er stieß Angelo an, um ihn zu wecken.
Angelo hob den Kopf und spähte durch die Windschutzscheibe. Es war dunkel geworden in der kurzen Zeit, in der er geschlafen hatte. Er fühlte sich benommen. Aber er sah die Frau, auf die Tony zeigte. Sie war nur noch wenige Meter vom Haus entfernt und strebte auf die Tür zu.
"Gehn wir", sagte Angelo. Er zwängte sich aus dem Wagen und wäre fast auf das Gesicht gefallen. Sein linkes Bein war in der unnatürlichen Haltung, die er während seines Nickerchens eingenommen hatte, eingeschlafen.
Tony war ein gutes Stück voraus, während Angelo versuchte, mit einem tauben Bein zu laufen, das sich wie aus Holz anfühlte. Als er die Tür erreichte, kribbelte es im ganzen Bein. Er zog die Tür auf und sah, daß Tony bereits mit der Frau sprach.
"Wir würden gern mit Ihnen auf dem Revier sprechen", sagte Tony, der versuchte, Angelo zu imitieren.
Angelo sah, daß er seine Polizeimarke zu hoch hielt, so daß Laurie Montgomery lesen konnte, was darauf stand, wenn sie sich die Mühe machte.
Angelo zog Tonys Arm nach unten und lächelte. Er registrierte, daß Laurie wirklich so gut aussah, wie Tony nach dem Foto gemeint hatte.
"Wir brauchen nur ein paar Minuten", sagte Angelo. "Es ist reine Routine. Sie sind in weniger als einer Stunde wieder hier. Es hat mit dem Gerichtsmedizinischen Institut zu tun."
"Ich muß mit Ihnen nirgendwohin gehen."
"Sie wollen doch keine Szene machen, oder?"
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