Montgomery u Stapleton 01 - Blind
ihrem letzten Zusammentreffen überrascht hatte. Aber damals hatte er nur zwanzig Minuten warten müssen. Jetzt war er schon über eine Stunde hier. Allmählich kamen ihm Zweifel, ob es richtig gewesen war, erst zu Jordan zu gehen, statt mit seinen Vorgesetzten zu sprechen.
Lou dachte gerade daran zu gehen, als Jordan den Raum betrat. Er ging direkt zu einem kleinen Kühlschrank und holte eine Tüte Orangensaft heraus.
Lou sah zu, wie Jordan einen großen Schluck trank. Er wartete, bis Jordan zur Couch ging, wo er wohl einen Blick in die dort ausliegenden Zeitungen werfen wollte. Erst jetzt meldete Lou sich.
"Jordan, alter Junge", sagte er. "Daß ich ausgerechnet hier auf Sie treffe."
Jordan runzelte die Stirn, als er Lou erkannte. "Nicht schon wieder Sie."
"Ich bin gerührt über soviel Freundlichkeit", sagte Lou. "Wahrscheinlich liegt das an den vielen Operationen, daß Sie in einer so umgänglichen Stimmung sind. Sie kennen doch das Sprichwort: Schmiede das Eisen, solange es heiß ist."
"Schön, Sie wiedergesehen zu haben, Lieutenant." Jordan trank den Saft aus und warf die Tüte in den Papierkorb.
"Einen Moment", sagte Lou. Er stand auf und stellte sich Jordan in den Weg. Lou hatte den deutlichen Eindruck, daß Jordan noch weniger kooperativ war als bei ihrem letzten Zusammentreffen. Er war auch aufgeregter. Hinter der abweisenden Fassade steckte eindeutig Nervosität.
"Ich habe noch einige Operationen vor mir", sagte Jordan.
"Da bin ich sicher", bemerkte Lou. "Weswegen es mir auch etwas besser geht. Ich meine, es ist schön zu wissen, daß nicht alle Ihre Patienten, die operiert werden sollen, eines gewaltsamen Todes durch professionelle Killer sterben."
"Wovon reden Sie eigentlich?" begehrte Jordan auf.
"Ach, Jordan, Empörung steht Ihnen sicher gut. Aber mir wäre es lieber, wenn Sie mit dem Stuß aufhörten und zur Sache kämen. Sie wissen ganz genau, wovon ich rede. Als ich das letztemal hier war, habe ich Sie gefragt, ob es etwas gäbe, was Ihre ermordeten Patienten gemeinsam hätten. Etwa ob sie das gleiche Leiden hätten oder so. Sie waren froh, mir sagen zu können, daß ich falschlag. Nur haben Sie versäumt, mir zu sagen, daß alle darauf warteten, sich einer Operation durch Ihre fähigen Hände zu unterziehen."
"Das ist mir damals nicht bewußt geworden", erklärte Jordan.
"Natürlich nicht!" sagte Lou sarkastisch. Er war sicher, daß Jordan log, war sich gleichzeitig aber seiner Objektivität in der Beurteilung Jordans nicht so sicher. Wie er Laurie kürzlich gestanden hatte, war er auf Jordan eifersüchtig. Er war eifersüchtig auf das gute Aussehen des hochgewachsenen Mannes, auf seine erstklassige Ausbildung, seine sorgenlose Vergangenheit, sein Geld und seine Beziehung zu Laurie.
"Es ist mir erst aufgefallen, als ich in die Praxis zurückkam", sagte Jordan. "Nachdem ich mir ihre Akten angesehen habe."
"Aber auch nachdem Sie diese Gemeinsamkeit entdeckt hatten, unterließen Sie es, mich zu verständigen. Wir wollen das im Moment auf sich beruhen lassen. Meine Frage jetzt lautet: Wie erklären Sie das?"
"Ich kann es nicht erklären", sagte Jordan. "Soweit ich sehe, ist es ein außergewöhnlicher Zufall. Nicht mehr und nicht weniger."
"Sie haben nicht den leisesten Verdacht, warum diese Morde verübt wurden?"
"Nein", erwiderte Jordan. "Und ich hoffe und bete wirklich, daß keine weiteren Morde passieren. Das letzte, was ich erleben möchte, ist, mit anzusehen, wie der Bestand meiner chirurgischen Patienten in irgendeiner Form dezimiert wird, dazu noch auf eine so brutale Art."
Lou nickte. Nach dem, was er über Jordan wußte, glaubte er ihm wenigstens das.
"Was ist mit Cerino?" fragte Lou nach einer Pause.
"Was soll mit ihm sein?"
"Er wartet immer noch auf seine zweite Operation", sagte Lou. "Könnte diese Mordserie irgendwie mit Cerino zusammenhängen? Glauben Sie, daß er in Gefahr ist?"
"Ich halte alles für möglich", erwiderte Jordan. "Aber ich behandle Paul Cerino seit Monaten, und ihm ist nichts passiert. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er in die Sache verwickelt oder daß er besonders gefährdet ist."
"Wenn Ihnen irgend etwas einfällt, geben Sie mir Bescheid", sagte Lou.
"Selbstverständlich, Lieutenant", versicherte Jordan.
Lou gab den Weg frei, und Jordan eilte durch die Pendeltür und entschwand seinen Blicken.
Laurie kam zu dem Schluß, daß sie wenigstens beschäftigt wäre, selbst wenn nichts klappen und sie keinerlei brauchbare Informationen auftun
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