Montgomery u Stapleton 01 - Blind
vermeintlichen Polizisten in Zivil an ihrer Wohnungstür erzählt hatte.
Er fuhr hinunter zum Leichenschauhaus. Als er den Aufzug verließ, wunderte er sich, daß er außer dem jungen Mann im Labor noch keinen Menschen gesehen hatte. Mit wachsender Unruhe eilte er durch den langen Gang zum Kühlraum. Als er die Tür nur angelehnt fand, stieg seine Besorgnis noch.
Voll böser Ahnungen zog er die Tür ganz auf. Was er erblickte, war weit schlimmer, als er sich hätte ausmalen können. Im Kühlraum lagen Leichen wahllos durcheinander. Zwei Rollbahren waren umgekippt. Mehrere Laken, die die Leichen bedeckt hatten, waren heruntergerissen. Selbst nach mehrtägiger Erfahrung im Sektionssaal schlug ihm der Anblick dieses leichenübersäten Schlachtfelds auf den Magen.
Mitten in dem Chaos entdeckte Lou eine Brieftasche. Er schob einige Rollbahren beiseite und hob sie auf, um zu sehen, wem sie gehörte. Er klappte sie auf. Das erste, was er sah, war ein Führerschein mit Lauries Bild.
Er stürmte aus dem Kühlraum. Seine Besorgnis schlug in Angst um. Wenn seine Theorie über die Gangstermorde richtig war, befand Laurie sich in höchster Gefahr. Verzweifelt suchte er jemanden, irgend jemanden. Im Leichenschauhaus mußte doch immer jemand sein. Als er das Licht im großen Sektionssaal sah, rannte er hin und stieß die Tür auf, aber auch dort war niemand.
Er machte kehrt und hetzte zum Sicherheitsbüro, um zu telefonieren. Als er die Tür öffnete, sah er den Wachmann auf dem Boden liegen. Die ausdruckslosen Augen des Mannes starrten ihn an. In der Stirn war ein Einschußloch. Lou fühlte den Puls, nichts. Der Mann war tot.
Lou stand auf, griff zum Telefon und wählte 911. Als der Beamte sich meldete, nannte er seinen Namen und Rang und forderte die Mordkommission zum städtischen Leichenschauhaus an. Er erklärte, daß das Opfer im Sicherheitsbüro liege, er selbst aber nicht auf das Eintreffen der Mordkommission warten könne.
Er knallte den Hörer auf die Gabel, raste zur Laderampe und sprang in seinen Wagen. Er ließ den Motor an und setzte mit kreischenden Reifen zurück, zwei Gummispuren auf dem Pflaster der Einfahrt hinterlassend. Ihm blieb keine andere Wahl, als direkt zu Paul Cerino zu fahren. Es war an der Zeit, die Karten auf den Tisch zu legen. Er stellte sein Blaulicht auf das Wagendach und war nach dreiundzwanzig Minuten haarsträubender Fahrt bei Cerino in Queens.
Er rannte die Stufen zu Cerinos Haus hinauf, griff dabei an sein Schulterhalfter und löste das Lederband, das seine 38er Smith and Wesson Detective Special sicherte. Ungeduldig drückte er auf die Klingel. Den vielen brennenden Lampen nach mußte jemand zu Hause sein.
Über Lous Kopf ging eine Lampe an. Dann hatte er das Gefühl, daß jemand ihn durch den Spion betrachtete. Schließlich öffnete sich die Tür. Gloria stand vor ihm, in einem ihrer einfachen Hauskleider.
"Lou!" sagte Gloria erfreut. "Was führt Sie hierher?"
Lou stürmte an ihr vorbei ins Haus. "Wo ist Paul?" fragte er. Er schaute in das Wohnzimmer, wo Gregory und Steven vor dem Fernseher saßen.
"Was ist denn los?" fragte Gloria.
"Ich muß mit Paul reden. Wo ist er?"
"Er ist nicht hier", sagte Gloria. "Ist etwas nicht in Ordnung?"
"Allerdings", erwiderte Lou. "Wissen Sie, wo Paul ist?"
"Nicht genau", sagte Gloria. "Aber ich habe gehört, wie er mit Doc Travino telefoniert hat. Er hat, glaube ich, was davon gesagt, in die Firma zu gehen."
"Meinen Sie die am Pier?"
Gloria nickte. "Ist er in Gefahr?" Lous Sorge wirkte ansteckend.
Lou war schon wieder halb zur Tür hinaus. Über die Schulter rief er: "Ich kümmere mich darum."
Er sprang in den Wagen, ließ den Motor an und brauste nach einer halsbrecherischen Wende los. Im Rückspiegel sah er Gloria noch mit ängstlich auf der Brust verschränkten Händen vor der Tür stehen.
Laurie empfand zuerst Übelkeit, aber sie übergab sich nicht. Sie kam mit Unterbrechungen allmählich zu sich und wurde sich zunehmend bewußt, daß sie gefahren und unsanft hin-und hergestoßen wurde. Sie merkte auch, daß ihr schwindlig war, als würde sie herumgewirbelt, und daß sie furchtbar nach Luft ringen mußte, als würde sie ersticken.
Laurie versuchte, die Augen zu öffnen, nur um entsetzt festzustellen, daß sie bereits offen waren. Wo immer sie sich befand, es war stockdunkel.
Als ihre Gedanken etwas klarer wurden, versuchte sie sich zu bewegen, doch dabei stießen ihre Arme und Beine sofort gegen Holz. Sie betastete es mit den
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