Montgomery u Stapleton 02 - Das Labor
Damit war er zum erstenmal in seinem Leben straffällig geworden.
Immer wieder versuchte er Beth zu erreichen. Inzwischen war es nach Mitternacht. Das Telefon klingelte und klingelte, doch niemand nahm ab. Jack begann sich ernsthaft Sorgen zu machen. Wie es aussah, war zu all seinen Problemen ein weiteres hinzugekommen.
27. Kapitel
Dienstag, 26. März 1996, 7.30 Uhr
Als Jack aufwachte, rief er zuallererst bei Beth Holderness an. Doch sie meldete sich immer noch nicht. Er war zutiefst beunruhigt.
Da er sich noch kein neues Fahrrad gekauft hatte, mußte er wieder die U-Bahn nehmen, doch heute ging er nicht allein zur Arbeit. Als er sein Haus verließ, heftete sich sofort eines der jüngeren Gangmitglieder aus dem Viertel an seine Fersen. Es war Slam; der Name war eine Anspielung auf seinen knallharten und treffsicheren Wurf beim Basketball. Obwohl er kaum größer war als Jack, konnte er mindestens dreißig Zentimeter höher springen.
Während der Zugfahrt saßen Jack und Slam einander zwar gegenüber, doch sie wechselten kein Wort. Slam sah Jack hin und wieder in die Augen, aber im großen und ganzen wirkte er völlig gleichgültig. Wie die meisten jungen Afroamerikaner trug er übergroße Kleidung. Sein Sweatshirt erinnerte an ein Zelt, und Jack wollte sich lieber nicht ausmalen, was er vermutlich darunter verbarg. Wie er Warren kannte, war der Junge jedenfalls nicht mit seinem Schutz beauftragt worden, ohne mit einem angemessenen Waffenarsenal ausgestattet zu sein. Jack überquerte die First Avenue und erklomm die Eingangsstufen zum Gerichtsmedizinischen Institut. Oben angekommen, sah er sich noch einmal um. Slam war auf dem Bürgersteig stehengeblieben und wußte offensichtlich nicht genau, was er jetzt tun sollte. Jack zögerte ebenfalls. Für einen Augenblick ging ihm der verrückte Gedanke durch den Kopf, daß er dem Jungen anbieten könnte, es sich in der Kantine im zweiten Stock gemütlich zu machen, doch das war natürlich unmöglich. Er zuckte mit den Achseln. Er wußte es zwar zu schätzen, daß Slam sich um ihn kümmerte, doch was er mit dem Rest des Tages anfangen sollte, mußte er sich schon selbst überlegen.
Jack betrat das Gebäude und stellte sich darauf ein, ein paar Opfer zu sehen, für deren Tod er sich mitverantwortlich fühlte. Er nahm all seinen Mut zusammen und ging an der Empfangsdame vorbei.
Obwohl er an diesem Tag ausschließlich für Schreibtischarbeiten und nicht für Autopsien eingeteilt war, wollte er unbedingt wissen, welche Fälle im Laufe der Nacht eingeliefert worden waren. Dabei dachte er nicht nur an Reginald und die beiden Obdachlosen - er fürchtete auch, daß es womöglich weitere Meningokokkenopfer gegeben hatte.
Als er den Raum betrat, in dem die Tagespläne erstellt wurden, wußte er sofort, daß irgend etwas vorgefallen war. Anders als sonst saß Vinnie nicht da und las Zeitung. »Wo ist Vinnie?« wandte sich Jack an George. Ohne aufzusehen, erwiderte George, Vinnie sei bereits mit Bingham in der ›Grube‹.
Jacks Herz begann zu rasen. Die Ereignisse vom vergangenen Abend lasteten schwer auf ihm, und plötzlich schoß ihm der irrationale Gedanke durch den Kopf, Bingham könnte womöglich gerufen worden sein, um Reginald zu obduzieren. Wegen seiner hohen Stellung nahm Bingham nur äußerst selten selbst Autopsien vor, und wenn, dann waren es meistens politisch brisante Fälle.
»Warum ist Bingham denn schon so früh hier?« fragte er, um einen möglichst beiläufigen Ton bemüht.
»Heute nacht war die Hölle los«, erwiderte George. »Ein weiterer Infektionsfall aus dem Manhattan General, und jetzt scheint die ganze Stadtverwaltung in Aufruhr zu sein. Der städtische Epidemiologe hat mitten in der Nacht die Gesundheitsbeauftragte alarmiert, und die wiederum hat Bingham in Marsch gesetzt.«
»Meningokokken?«
»Nein«, sagte George. »Sie glauben, daß er an einer Viruspneumonie gestorben ist.«
Jack nickte und spürte, wie ihm ein kalter Schauer über den Rücken lief. Er mußte unweigerlich an das Hantavirus denken.
Im letzten Frühling hatte es auf Long Island einen Fall gegeben. Die Krankheit wurde zwar äußerst selten von Mensch zu Mensch übertragen, doch das Hantavirus galt als sehr gefährlich. Er ließ seinen Blick über Georges Schreibtisch schweifen und registrierte, daß sich dort mehr Akten stapelten als üblich. »Sind letzte Nacht sonst noch irgendwelche interessanten Fälle reingekommen?« fragte er.
Er blätterte die Akten durch
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