Montgomery u Stapleton 06 - Crisis
gar nicht schwanger war. Irgendwann im vergangenen Jahr hat er rausgefunden, dass ich hier in der Rechtsmedizin arbeite, und seitdem versucht er, den Kontakt wieder aufleben zu lassen, aber ich bin nicht interessiert. Tut mir leid, wenn das eben in seinem Büro etwas unangenehm für Sie war.«
»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen«, sagte Jack. »Wie ich auf dem Hinweg schon sagte, ich hoffe, es bedeutet für Sie kein Problem, seine Hilfe anzunehmen.«
»Es ist jetzt so viele Jahre her, dass ich dachte, ich könnte besser damit umgehen. Aber als ich ihn vorhin nur angesehen habe, war ich schon wieder so wütend wegen damals. Man sollte doch meinen, ich wäre allmählich darüber hinweg.«
Sie gingen in die Bibliothek. Das Durcheinander war noch genau so, wie sie es zurückgelassen hatten.
»Was halten Sie davon, wenn wir uns jetzt die Gefrierschnitte anschauen, die wir eingefärbt haben?«, schlug Latasha vor.
»Vielleicht sollten Sie nach Hause fahren und sich hinlegen«, sagte Jack. »Es gibt keinen Grund, warum Sie die ganze Nacht durcharbeiten sollten. Ich meine, ich bin sehr froh über Ihre Hilfe und Gesellschaft, aber das ist doch viel zu viel verlangt.«
»So leicht werden Sie mich nicht los«, erwiderte Latasha mit einem koketten Lächeln. »An der Uni habe ich gelernt, dass ich, wenn es spät wird, besser gar nicht erst schlafen gehe. Außerdem würde ich zu gerne diesen Fall lösen.«
»Na gut, und ich glaube, ich fahre noch mal kurz raus nach Newton.«
»Zurück ins Krankenhaus?«
»Nein. Ins Haus der Bowmans. Ich habe meiner Schwester versprochen, nach ihrem Ehemann zu schauen, um mich zu vergewissern, dass er nicht im Koma liegt. Dank seiner Depressionen mixt er seit einiger Zeit Alkohol in Form von Single-Malt-Scotch mit irgendwelchen Schlaftabletten.«
»Ach du Schande!«, entgegnete Latasha. »Ich hatte schon ein paar dieser Typen auf dem Obduktionstisch.«
»Um die Wahrheit zu sagen, ich glaube nicht, dass man sich um ihn große Sorgen machen muss«, erklärte Jack. »Dafür ist er viel zu sehr von sich eingenommen. Ich bezweifle, dass ich überhaupt rüberfahren würde, um nach ihm zu sehen, wenn das der einzige Grund wäre. Aber ich will mir auch noch mal den Biomarker-Test anschauen, den er bei Patience verwendet hat, um zu sehen, ob es irgendeinen vernünftigen Grund gibt, zu vermuten, dass er ein falsches positives Ergebnis angezeigt hat. Denn wenn das der Fall war, katapultiert das die Chancen, dass es kein natürlicher Tod war, in ungeahnte Höhen.«
»Was ist mit Selbstmord?«, fragte Latasha. »Sie haben Selbstmord nie auch nur als eine entfernte Möglichkeit in Betracht gezogen. Wie kommt das?«
Jack kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf. Es stimmte, dass der Gedanke an einen Selbstmord ihm nie in den Sinn gekommen war, und er fragte sich warum. Er lachte leise auf, als er daran dachte, mit wie vielen Fällen er im Laufe der Jahre zu tun gehabt hatte, bei denen die scheinbare Todesart letztlich nicht die echte gewesen war. Der letzte Fall dieser Art war der Tod der Frau eines iranischen Diplomaten gewesen, der erst nach Selbstmord ausgesehen hatte, in Wirklichkeit aber Mord gewesen war.
»Ich weiß gar nicht, warum ich einen Selbstmord nicht einmal flüchtig in Erwägung gezogen habe«, sagte Jack, »vor allem wenn man bedenkt, mit was für absurden Ideen ich schon aufgewartet habe.«
»Das Wenige, was Sie mir über die Frau erzählt haben, lässt doch vermuten, dass sie nicht besonders glücklich gewesen ist.«
»Das stimmt wahrscheinlich«, gab Jack zu, »aber das ist auch das Einzige, was für einen Selbstmord spricht. Wir werden es im Hinterkopf behalten, zusammen mit meiner Krankenhaus-Verschwörungstheorie. Aber jetzt mache ich mich erst mal auf den Weg nach Newton. Sie sind natürlich herzlich eingeladen, mich zu begleiten, aber ich kann mir kaum vorstellen, dass Sie das interessieren wird.«
»Ich bleibe hier«, sagte Latasha. Sie zog Craigs und Jordans Befragungsprotokolle vor einen der Stühle und setzte sich hin. »Ich lese mir ein bisschen Hintergrundwissen an, während Sie unterwegs sind. Wo sind die medizinischen Berichte?«
Jack streckte die Hand aus und schob den entsprechenden Stapel über die Tischplatte neben Craigs und Jordans Aussageprotokolle.
Latasha griff nach einem kurzen EKG-Ausdruck, der aus dem Stapel herausschaute. »Was ist das?«
»Das ist eine Aufzeichnung, die Dr. Bowman gemacht hat, kurz nachdem er bei Patience angekommen ist.
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