Montgomery u Stapleton 06 - Crisis
er damals in die Stadt gezogen ist.«
»Ich dachte, er wäre vielleicht zu einem Notfall gerufen worden.«
»Nein, das braucht er diese Woche nicht. Er hat sich einen Vertreter gesucht, der während des Prozesses seine Praxis betreut. Das hat ihm sein Anwalt empfohlen. Und ich halte das für eine gute Idee. Wie engagiert er als Arzt auch sein mag, ich würde mich im Moment nicht gerne von ihm behandeln lassen. Er ist viel zu abgelenkt.«
»Ich bin beeindruckt, dass er überhaupt schlafen kann. Wenn ich an seiner Stelle wäre, wäre ich jetzt sicher auf den Beinen und würde ununterbrochen im Haus herumlaufen.«
»Er hatte ein wenig Hilfe«, gab Alexis zu. Sie brachte die Nudeln und den Salat an den Tisch und stellte sie vor Jack. »Dieser erste Verhandlungstag war hart, und er ist verständlicherweise deprimiert. Ich fürchte, er hat sich selbst Schlaftabletten verordnet, um seiner Schlaflosigkeit Herr zu werden. Dazu kommt noch Alkohol: Scotch, um genau zu sein, aber ich glaube, nicht so viel, dass man sich Sorgen machen müsste. Zumindest jetzt noch nicht.«
Jack nickte, sagte jedoch nichts.
»Was möchtest du trinken? Ich nehme ein Glas Wein.«
»Ein wenig Wein wäre schön, ja«, antwortete Jack. Über Depressionen wusste er mehr, als ihm lieb war. Nach dem Flugzeugabsturz hatte er jahrelang dagegen angekämpft.
Alexis brachte eine offene Flasche Weißwein und zwei Gläser an den Tisch.
»Hat Craig eigentlich gewusst, dass ich kommen würde?«, fragte Jack. Eine Frage, die er hätte stellen sollen, bevor er in diesen Besuch eingewilligt hatte.
»Natürlich hat er das gewusst«, antwortete Alexis, während sie den Wein einschenkte. »Ich habe mit ihm darüber gesprochen, ehe ich dich angerufen habe.«
»Und er war damit einverstanden?«
»Er bezweifelte, dass es etwas bringen würde, aber dann hat er mir die Entscheidung überlassen. Um die Wahrheit zu sagen, er war nicht gerade begeistert, als wir darüber geredet haben, und er sagte etwas, das mich überrascht hat. Er behauptete, du könntest ihn nicht leiden. So etwas hast du doch nie gesagt, oder?«
»Ganz bestimmt nicht«, entgegnete Jack. Während er anfing zu essen, fragte er sich, wie offen er ihr gegenüber sein sollte. Denn in Wahrheit war er damals, als Alexis und Craig sich verlobt hatten, der Ansicht gewesen, dass Craig nicht gut genug für Alexis sei. Aber er hatte nie etwas gesagt, vor allem weil er, ohne genau zu wissen warum, glaubte, dass es immer ein Risiko war, einen Arzt zu heiraten. Erst vor gar nicht allzu langer Zeit hatte ihm sein eigener mühsamer Weg die nötige Einsicht geschenkt, um sein früheres Bauchgefühl zu erklären – dass nämlich das gesamte medizinische Ausbildungssystem narzisstische Persönlichkeiten entweder besonders förderte oder eigens hervorbrachte, vielleicht auch eine Mischung aus beidem. Jack hielt Craig in dieser Hinsicht für ein Musterbeispiel. Seine ausschließliche Hingabe an die Medizin war schon fast eine Garantie dafür, dass seine persönlichen Beziehungen entsprechend oberflächlich sein würden, eine Art psychologisches Nullsummenspiel.
»Ich habe ihm gesagt, dass du nicht so empfindest«, fuhr Alexis fort. »Tatsächlich habe ich ihm gesagt, dass du ihn bewunderst, weil du mir das irgendwann einmal erzählt hast. Erinnere ich mich da richtig?«
»Ich habe dir gesagt, dass ich ihn als einen hervorragenden Arzt bewundere«, antwortete Jack, sich sehr wohl darüber im Klaren, dass diese Antwort ein wenig ausweichend war.
»Ich habe es dahingehend eingeschränkt, dass ich sagte, du würdest ihn um seine Leistungen beneiden. Du hast doch einmal so etwas erwähnt, nicht wahr?«
»Zweifellos. Ich war schon immer beeindruckt von seiner Fähigkeit, echte Grundlagenforschung mit publizierbaren Ergebnissen zu betreiben und gleichzeitig eine große erfolgreiche Praxis zu führen. Das ist das romantische Ziel vieler Ärzte, die es niemals auch nur ansatzweise verwirklichen. Ich habe es versucht, als ich damals noch als Augenarzt praktizierte, aber im Nachhinein betrachtet, war meine angebliche Forschung ein Witz.«
»So wie ich dich kenne, kann ich mir das kaum vorstellen.«
»Um wieder auf das eigentliche Thema zurückzukommen, was hält Craig denn nun davon, dass ich hier bin? Diese Frage hast du gar nicht beantwortet.«
Alexis trank einen Schluck Wein. Es war offensichtlich, dass sie über die Antwort nachdachte, und je länger sie schwieg, desto unbehaglicher wurde Jack zumute. Schließlich
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