Monuments Men
interessierte sich anscheinend ebenso stark für den Auftrag der Monuments Men, die deutschen Kulturgüter zu schützen, wie für Poseys schmerzenden Weisheitszahn.
»Sie sollten mit meinem Schwiegersohn sprechen«, sagte er, als er am Ende der Behandlung seine Instrumente beiseitelegte und sich das Blut von den Händen abwischte. »Er ist Kunstgelehrter und kennt Frankreich. Er hat während der Besatzung dort gelebt.« Er machte eine Pause. »Aber er wohnt mehrere Kilometer von hier entfernt. Ich kann Sie nur hinbringen, wenn Sie einen Wagen haben.«
Die drei Männer verließen die Stadt in östlicher Richtung. Auf den Straßen lagen Munitionsreste und Granatsplitter, und einige Bauerngehöfte rauchten noch. Die Bäume waren grün und braun, die Weinreben ungepflegt. Sie fuhren an einem Kind vorbei das sie finster und still anstarrte. Der Zahnarzt war bester Laune. »Wunderbar«, sagte er bei jeder kleinen Stadt, in die sie kamen. »Wunderbar. Mir kommt es vor, als hätte ich Trier seit Jahrzehnten nicht mehr verlassen.« Er bat sie, an einem Bauernhaus anzuhalten, um Freunde zu besuchen, oder an einem kleinen Laden, um Lebensmittel einzukaufen. »Wunderbar«, sagte er, als er mit den Lebensmitteln zurückkehrte. »Wir haben seit Monaten keine frische Milch mehr getrunken.«
»War das wirklich eine gute Idee?«, fragte Kirstein Posey, als die Monuments Men in einem anderen kleinen Dorf vor einer Schenke auf den Zahnarzt warteten. Sie waren jetzt knapp zwanzig Kilometer von Trier entfernt, und mit jedem weiteren Kilometer erschienen ihm die umliegenden Hügel bedrohlicher und gefährlicher. Alle Dörfer wirkten verlassen, und in den Fenstern hingen nun keine weißen Kopfkissenbezüge mehr zum Zeichen der Kapitulation. Alles ist plötzlich leer, dachte Kirstein. Keiner will sich sehen lassen.
»Wahrscheinlich nicht«, erwiderte Posey. Aber dann schwieg er und starrte zu dem Höhenrücken, der das Ende des Tales bildete. Sein Mund fühlte sich an, als habe jemand mit einem Vorschlaghammer darauf geschlagen, aber Unannehmlichkeiten gehörten zum Job.
Der Zahnarzt kam zurück und lächelte. Er hatte Gemüse in der Hand. »Wunderbar«, sagte er. »Einfach wunderbar.«
»Ab jetzt keine weiteren Aufenthalte mehr«, brummte Posey und fuhr sich mit der Zunge über sein geschwollenes Zahnfleisch. Er hielt den Zahnarzt zunächst für einen harmlosen Schwindler, aber je mehr Zwischenstopps er einlegte und je näher das Ende des Tales heranrückte, umso mehr erschien Posey diese Fahrt als eine Falle.
Schließlich sagte der Zahnarzt, sie sollten am Straßenrand anhalten. Ein großes, weiß verputztes Haus stand am Fuße eines Hangs, der mit Bäumen bewachsen war. »Hier entlang«, sagte der Zahnarzt und deutete zur rückwärtigen Seite des Hauses. Ein Stück weiter oben am Hang stand ein kleines Gebäude, ein abgeschiedenes Wochenendhäuschen, das sich perfekt als Hinterhalt eignete, um sorglosen Kunstexperten aufzulauern. Posey und Kirstein schauten einander an. Wie dumm waren sie eigentlich gewesen? Selbst wenn der Schwiegersohn ein Kunstgelehrter war und selbst wenn er sich allein in dem Haus aufhielt, was konnte er schon wissen? Widerstrebend begann Posey den Hang hinaufzusteigen.
In dem Häuschen war es hell und aufgeräumt, es war eine Huldigung an Frankreich und wurde anscheinend von einem Menschen bewohnt, der guten Geschmack besaß und das Schöngeistige liebte. Die Wände waren mit Fotos vom Eiffelturm, Notre Dame, Versailles und anderen berühmten Wahrzeichen bedeckt. In einigen Vasen steckten Blumen, die wahrscheinlich auf den umliegenden Hügeln gepflückt worden waren. Auf den Bücherregalen standen Bücher über Kunst und Geschichte, allgemeine wie auch entlegene Gebiete betreffend. Das Haus strahlte für Kirstein »die angenehme Atmosphäre eines kultivierten Gelehrtenlebens aus, es war heimelig, konzentriert, weit weg vom Krieg.« 192 Das war das erste, vom Eigentümer bewohnte Privathaus das er in Deutschland betrat, und er fühlte sich sogleich wie zu Hause.
Der Bewohner war gut aussehend und überraschend jung, vermutlich Mitte dreißig. Da er am Beginn seiner beruflichen Karriere stand, hätte er eigentlich einen frohen, begeisterten Eindruck vermitteln sollen, aber irgendwie wirkte er gedrückt und erschöpft. Der Krieg hatte niemanden verschont, dachte Kirstein, nicht einmal diesen jungen Wissenschaftler vom Lande. Dennoch lächelte der junge Mann, als er die alliierten Kunstoffiziere erblickte.
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