Monuments Men
Kilometern und war durchschnittlich 130 Kilometer breit. Er würde der einzige Monuments Man auf diesem 58 000 Quadratkilometer großen Gebiet sein. Aber er verfügte über etwas, das kein anderer Monuments Man bisher besessen hatte: die Informationen, die Rose Valland ihm zwei Wochen vorher gegeben hatte, und das Wissen, an dem sie ihn in den vergangenen paar Monaten hatte teilhaben lassen. Dank Valland wusste er genau, wohin er sich begeben musste: zum Märchenschloss Neuschwanstein. Seit Monaten ging ihm dieser Name im Kopf herum. Nur was genau er dort finden würde und wie er möglichst schnell dorthin kommen konnte, das wusste er noch nicht.
»General Rogers ist gestern Abend in Paris beim Essen auf mich zugekommen und hat mir gesagt, was für eine gute Arbeit ich geleistet habe«, schrieb Rorimer an seine Frau. »Mein Vorgesetzter Oberstleutnant Hamilton hat unserer Gruppe Cocktails ausgegeben und weinte fast, als ich aus seinem Stab nach Deutschland abgezogen wurde. Ja, ich hatte mich hier eingerichtet und muss nun unter völlig anderen Bedingungen etwas Neues aufbauen.« 196
Er hatte keine Zweifel. Das war der wichtige Auftrag; das war die Aufgabe, die er sich schon immer gewünscht hatte. Als er seine Sachen packte, blickte er zwar wehmütig zurück auf seine Zeit in der Stadt der Lichter, aber er freute sich auch auf die Abenteuer, die vor ihm lagen: die großen Kunstdepots des ERR, die Auseinandersetzung mit den Nazi-Verbrechern und die Chance, das kulturelle Erbe Frankreichs zu sichern. Und trotz seiner freudigen Erregung – oder gerade deswegen – dachte er über Rose Valland nach. Jacques Jaujard hatte recht gehabt. Sie war wahrscheinlich die große Heldin der französischen Kulturwelt. Aber was sollte sie jetzt anfangen? Sie hatte ihrem Protegé die Arbeit übergeben, deretwegen sie ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatte. Was sollte eine Lehrerin tun, wenn der Schüler weg war?
Rorimer grübelte immer wieder darüber, und schließlich wurde ihm klar, dass er die Antwort kannte. Rose Valland, die häufig unterschätzt wurde, aber sich durch nichts einschüchtern ließ, strebte einen Posten in der französischen Armee an. Sie war überzeugt, dass sie mit James Rorimer den richtigen Mann gefunden hatte, doch die Aufgabe der Rettung der französischen Kunst war zu gewaltig, um sie einem einzigen Menschen anzuvertrauen. Rose Valland war keine furchtsame Kulturfunktionärin und auch keine welkende Blume; sie war eine Kämpferin, die sich hinter einer bestimmten Fassade verbarg. Und sie war entschlossen, an die Front zu kommen und die französischen Kunstschätze aufzuspüren.
In Berlin stand Albert Speer wieder einmal vor seinem Führer. Die sowjetische Artillerie und die Bomber der westlichen Alliierten griffen die Stadt pausenlos an, und Adolf Hitler, der Mann, auf den es ankam, hatte sich in seinen riesigen abgeschotteten Führerbunker unter der Reichskanzlei zurückgezogen. Er hatte sich von der Welt abgeschnitten, selbst von den Verzeichnissen der Kunstwerke, die für sein Museum in Linz bestimmt waren, dessen Planung ihn in dunklen Stunden immer wieder aufgeheitert hatte. So konnte er zum Beispiel nicht mehr die Fotografie von Vermeers Astronom betrachten, jenem Gemälde, das er am meisten schätzte; es zeigte einen Gelehrten, leicht vom Betrachter abgewandt, der mit einer Hand seinen Globus berührte, als wollte er die Welt ergreifen. Aber Hitler hatte die Baupläne von Linz in den Bunker mitgenommen, und er verfolgte noch immer seine Vision. Er mochte bleich und ausgezehrt sein, aber er besaß noch immer einen eisernen Willen – ein Mann, der sich seiner misslichen Lage bewusst, aber noch nicht imstande war, zu begreifen, dass sein Reich dem Untergang geweiht war.
Hitler war kein Mann, der Sachen auf die lange Bank schob. Sein persönlicher Sekretär Martin Bormann hatte ihn unterrichtet dass Speer ins Ruhrgebiet gefahren war, um die dortigen Gauleiter zu überreden, Hitlers Nero-Befehl nicht Folge zu leisten und die deutsche Infrastruktur nicht zu zerstören.
Speer leugnete es nicht. Hitler, ein Mann, der zu heftigen Wutausbrüchen neigte, aber weder paranoid noch debil war, legte seinem Freund und Rüstungsminister nahe, sich krankschreiben zu lassen. »Wenn Sie«, sagte er zu Speer, »davon überzeugt sein können, dass der Krieg nicht verloren ist, dann können Sie Ihr Amt weiterführen.«
»Ich kann es nicht«, entgegnete Speer, »beim besten Willen nicht. Und schließlich möchte ich
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