Monuments Men
zog seine Waffe. Er sei vollständig im Bilde und wisse, was hier gespielt werde. Wenn er die Kisten auch nur im Geringsten anrühre, würde er ihn rücksichtslos umlegen. 259
Högler bat Glinz, mit Generaldirektor Pöchmüller zu sprechen der sich gerade in einer anderen Saline in Bad Ischl aufhielt. In einem hitzigen Telefonat mit Glinz beharrte Pöchmüller darauf, dass Hitlers Befehl vom 22. April – dass die Kunstgüter vor dem Feind gesichert, aber unter allen Umständen erhalten bleiben sollten – völlig eindeutig sei. Die Kunstwerke dürften nicht angetastet werden.
Der Gauleiter nehme Hitlers letzten Funkspruch nicht zur Kenntnis; der sei überholt, erwiderte Glinz. Zudem habe Bormann ihn unterschrieben, und der sei in den Augen Eigrubers nicht mehr einwandfrei. 260
Nachdem Hitler tot war, gab es anscheinend keine Möglichkeit mehr, den Gauleiter von einem Vorhaben abzuhalten, aber die Salinenleitung wandte sich ein letztes Mal mit einer dringenden Bitte an Helmut von Hummel. Am 1. Mai informierte von Hummel Karl Sieber, den Konservator in Altaussee, in einem Brief, dass der Führer »in der vergangenen Woche« entschieden habe, dass »die in dem Bergungsort Oberdonau untergebrachten Kunstwerke ... nicht in Feindeshand fallen, aber auch keinesfalls endgültig vernichtet werden [dürfen].« 261
Das Telegramm blieb wirkungslos. Als Pöchmüller zur Saline zurückkehrte, stellte er fest, dass der Gauleiter sechs weitere schwer bewaffnete Wachposten am Eingang des Bergwerks aufgestellt hatte. Die Bomben befanden sich nach wie vor in der Saline und jetzt brauchte man nur noch Zünder – und diese waren bereits unterwegs.
Für Robert Posey war Süddeutschland das Schlimmste, was er bisher erlebt hatte: eine Welt, in der es keine Regeln mehr gab. Die gesellschaftlichen Strukturen waren zusammengebrochen und mit ihnen die militärischen Fronten. Die Städte und Dörfer lagen danieder, zerstört entweder durch die Bomben der Alliierten durch fanatische Nazis, die weiterkämpften bis zum Untergang oder durch örtliche Gauleiter, die entschlossen waren, Hitlers Nero-Befehl auszuführen. Auf den Flüssen wurden Schiffe versenkt, Fabriken standen in Flammen, Brücken wurden gesprengt. Überall zogen Zivilisten umher auf der Suche nach Feuerholz und einem Unterschlupf. Häufig sah man Gruppen von hundert oder mehr Flüchtlingen, die ziellos umherirrten. Sie kamen aus den Städten der Region, aber auch aus dem Osten, wo sie vor der anrückenden Roten Armee geflohen waren.
Hatte er die Frontlinie schon überquert? Das ließ sich nicht feststellen. In vielen Orten waren deutsche Soldaten in Konvois unterwegs und hofften, sich den Amerikanern ergeben zu können. An den Straßen sah Posey ihre Gesichter hinter Stacheldrahtzäunen, die meisten lächelten, da der Krieg für sie nun vorbei war. Doch in anderen Städten hatten sich deutsche Soldaten in ihren Stellungen eingegraben und kämpften bis zum letzten Mann. In einem verlassenen Dorf konnte plötzlich ein Heckenschütze aus einem dunklen Fenster heraus das Feuer eröffnen. Unsichtbare Maschinengewehrnester konnten eine Straße unter Beschuss nehmen. Manche amerikanische Einheiten hatten keine oder nur kleinere Gefechte zu bestehen, andere verloren mehr Männer in dieser Zeit der Leere als im vergangenen halben Jahr. Sowohl die Gewalt als auch der Frieden waren zufällig und chaotisch. Die Landkarten waren nutzlos geworden. Manchmal fragte sich Posey, ob sein Kompass noch immer nach Norden zeigte. Hier gab es keinen Magnetismus, dachte er, keine Kraft, die die Dinge zusammenhielt. Es schien, als seien die Naturgesetze praktisch alle Gesetze, aufgehoben worden. Die Armeeführung riet den Soldaten, sich möglichst nah bei ihren Einheiten zu halten und sich niemals allein auf den Weg zu machen. Aber was war, wenn man keine Einheit hatte? Wenn die Aufgabe es erforderte, dass man sich nahezu allein durch dieses verbrannte Land bewegte?
Posey dachte häufig an Buchenwald, auch als sich die Zustände um ihn herum noch weiter verschlimmerten. Dort hatte er in einem verlassenen Büro das Foto eines deutschen Offiziers entdeckt. Der Mann stand in Habachtstellung, hatte ein breites Grinsen auf dem Gesicht und hielt seinen wertvollsten Besitz in die Kamera: eine Schlinge, mit der er Gefangene erdrosselte. Posey hatte dieses Bild an sich genommen und betrachtete es oft, bevor er sich abends niederlegte. Das Bild dieses grinsenden Offiziers machte ihn abwechselnd wütend und
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