Monuments Men
tieftraurig. In so vielen deutschen Gesichtern sah Posey nun diesen widerwärtigen Offizier, manchmal sogar in den Gesichtern von Kindern, die ihn früher immer wieder an seinen eigenen Sohn erinnert hatten. Die Zerstörung berührte ihn nicht mehr, aber er machte sich große Sorgen. Eines Tages trafen er und Kirstein auf eine Gruppe von Infanteristen, die weit von ihrem Lager entfernt waren und denen die Essensrationen ausgegangen waren. Sie hatten sich entschlossen, ein Kaninchen zu schlachten und zu braten, das sie in einem Stall hinter einem Bauerngehöft entdeckt hatten. Als sie den Hof betraten, öffnete eine Frau die Tür.
»Bitte«, rief sie in gebrochenem Englisch, »dieser Stall gehört meinem Sohn.«
Die Soldaten zeigten sich unbeeindruckt.
»Bitte«, wiederholte sie. »Mein Mann war Offizier der SS. Ich weiß, es ist schrecklich, aber er ist gewiss längst tot. Er hat meinem Sohn diesen Kaninchenstall gebaut, bevor er in den Krieg gezogen ist. Mein Sohn ist acht Jahre alt, und dieser Hase ist die einzige Erinnerung an seinen Vater.«
Robert Posey betrachtete die Frau lange. Dann griff er in seine Tasche und zog ein Stück Papier heraus. Es war nicht das Foto aus Buchenwald, sondern eines der »Zutritt verboten«-Schilder, die er schon so oft an geschützten Kulturgütern angebracht hatte. Er schrieb an den unteren Rand: »Auf Befehl von Hauptmann Robert Posey, 3. US-Armee.« Dann befestigte er das Schild am Hasenstall.
»Niemand wird dem Hasen Ihres Jungen etwas antun«, sagte er, dann verließ er mit den Infanteristen den Hof. 262
»Die Geschichte in deinem letzten Brief über den zwei Jahre alten farbigen Jungen«, schrieb er einige Tage später an Alice, »erinnert mich irgendwie an die schrecklichsten Dinge, die ich gesehen habe. Es war in einem Konzentrationslager in der Nähe von Weimar, das ich einen Tag nach seiner Befreiung besucht habe. Ich kann noch immer nicht glauben, was ich dort gesehen habe. Es war schlicht unvorstellbar. Nichts von dem, was ich über die sadistische Grausamkeit der Nazis gelesen habe, erscheint mir jetzt übertrieben. Roosevelt ist dafür zu loben, dass er sich fast allein gegen sie gestellt hat, als der Rest der Welt schon geschlagen war. Die Einwohner von Weimar, das nur sechseinhalb Kilometer entfernt liegt, behaupteten, sie hätten nicht gewusst was dort vor sich ging, aber Roosevelt wusste es, obwohl er sechseinhalbtausend Kilometer entfernt war. Ich frage mich, ob in unserer Gesellschaft nicht etwas schiefläuft, wenn ein kleiner schwarzer Junge von seiner Familie allein zurückgelassen wird. Vielleicht bin ich einfach nur zu weich. Wenn ich für eine Nacht in einem deutschen Haus einquartiert bin, gehe ich hinaus und schaue nach den Hühnern und Kaninchen oder anderen Haustieren und gebe ihnen wenn möglich Wasser und etwas zu fressen. Die Familien haben die Häuser meist überstürzt verlassen und konnten sich nicht mehr um solche Dinge kümmern. Ich glaube, die Harten und die Grausamen regieren die Welt. Wenn das so ist, will ich mich bemühen, jeden Tag so zu leben, wie es mir mein Gewissen vorschreibt, und werde all jene rühmen, die bereit sind, den Preis dafür zu bezahlen.« 263
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ENTDECKUNGEN
Thüringen und Buxheim
Mai 1945
George Stout kam am 1. Mai 1945 in Bernterode an. Wie Walker Hancock bereits im Telefongespräch angedeutet hatte, befand sich die Mine in einer ländlichen Gegend, in der man nichts sah als Wald. Sogar das nahe gelegene kleine Dorf war von den deutschen Behörden geräumt worden, damit niemand etwas mitbekam von den hektischen Aktivitäten im Bergwerk. Das einzige Anzeichen von Zivilisation, wenn man es so nennen konnte, war ein Internierungslager, in dem hauptsächlich französische, italienische und russische Zwangsarbeiter untergebracht waren. Der Schacht war knapp 550 Meter tief, und die Gänge unter Tage hatten eine Gesamtlänge von 24 Kilometern. Die Zwangsarbeiter waren vor allem zum Be- und Entladen von Munition eingesetzt worden, da Bernterode zu den größten deutschen Produktionsstätten für Munition zählte. Die Angehörigen einer amerikanischen Versorgungseinheit, welche die Mine erkundet hatten, schätzten, dass sich ungefähr 400 000 Tonnen Sprengstoff darin befanden. »Man wurde ausgepeitscht oder noch schlimmer bestraft wenn man ein Streichholz in die Mine mitbrachte«, erfuhr Walker Hancock von einem der französischen Zwangsarbeiter.
»Die Zivilisten sind vor sechs Wochen weggeschickt worden«, berichtete
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