Monuments Men
später von den Alliierten »Purple Heart Valley« genannt wurde, weil hier so viele Soldaten verwundet worden oder gefallen waren. Vor ihnen lag nun die Stadt Cassino, einer der strategischen Punkte der Gustav-Linie, der wichtigsten deutschen Verteidigungslinie in Mittelitalien. Vom Bergzug oberhalb der Stadt hatte man einen umfassenden Überblick über das Tal, und dies ermöglichte es den Deutschen, den Angriff der Alliierten am 17. Januar 1944 zurückzuschlagen. Wochenlang ergoss sich der Regen über die eng zusammengedrängten Männer, und in der Kälte gefroren ihre Stiefel. Auch ein weiterer Angriff der Alliierten wurde abgewehrt, sie erlitten schwere Verluste, und die Granaten prasselten ebenso regelmäßig auf sie nieder wie der Regen.
Der Berg war schon schlimm genug, aber noch furchterregender für die Soldaten war das Bauwerk, das auf seinem Gipfel stand: die Respekt einflößende tausend Jahre alte Abtei Monte Cassino. Das Kloster war um 529 vom heiligen Benedikt gegründet worden, zum Teil auch, weil es aufgrund seiner ausgezeichneten Lage Schutz vor der ungläubigen Welt bot. In Monte Cassino verfasste Benedikt seine Klosterregel und begründete dadurch die monastische Tradition des Abendlands. Hier starb er auch und wurde begraben. Die Abtei war geheiligter Boden, ein geistiges Zentrum und »ein Symbol für die Erhaltung und die Pflege des Geistigen und des Spirituellen auch in Zeiten großer Gefahr«. 35 Nun blickte die erhabene, imposante Abtei hinab auf die erschöpften und blutverschmierten alliierten Soldaten, ein Symbol für die Stärke der Nationalsozialisten.
Die Kommandeure der Alliierten wollten die Abtei nicht zerstören. Nur ein paar Wochen vorher, kurz bevor er Italien verließ, hatte General Dwight D. Eisenhower in einer seiner letzten Amtshandlungen den Befehl nebst einer Anordnung erlassen, dass künstlerisch und historisch bedeutende Stätten nicht unter Beschuss genommen werden dürften. Monte Cassino, eine der großen Hervorbringungen der frühen italienischen und christlichen Kultur, war eindeutig eine schützenswerte Stätte. Doch Eisenhowers Befehl ließ auch Ausnahmen zu. »Wenn wir uns entscheiden müssen zwischen der Zerstörung eines berühmten Bauwerks und der Opferung unserer Männer«, schrieb er, »dann zählt das Leben unserer Männer ungleich mehr, und die Bauwerke müssen weichen«. 36 Aber er hatte auch eine Trennlinie gezogen zwischen militärischer Notwendigkeit und militärischer Zweckmäßigkeit, und kein Kommandeur wollte der Erste sein, der diese Grenze überschritt.
Einen Monat lang waren die alliierten Kommandeure unschlüssig, und einen Monat lang saßen die alliierten Soldaten im Tal des Todes fest. Es herrschte eisige Kälte. Und der Regen schien nicht enden zu wollen. An vielen Tagen waren die Wolken so dicht, dass die Soldaten das Kloster nicht sehen konnten, und die Welt bestand nur noch aus den schwarzen Stümpfen der von den Granaten beschädigten Bäume. Aber dann rissen die Wolken auf, und die Abtei blickte auf die Soldaten herab. Tag für Tag schleppten sich die Soldaten durch den starren, gefrierenden Schlamm, durchnässt bis auf die Knochen und gehetzt von den deutschen Granaten. Die Zeitungen griffen das Thema auf und berichteten nicht nur über die elenden Lebensbedingungen, sondern auch über die wachsende Zahl von Toten und Verwundeten. Je länger die Kriegsberichterstatter und die Soldaten zum Berg hinaufblickten, umso mehr erschien ihnen die Abtei nicht mehr als ein kulturelles Welterbe, sondern als eine tückische Todesfalle, die mit deutschen Kanonen bestückt war. Der Name Monte Cassino bekam einen schlechten Beiklang in der Welt: der Berg des Todes, das Tal der Tränen, das Bauwerk, das die westlichen Alliierten von Rom fernhielt.
Die Menschen zu Hause, bestürzt über das Leiden ihrer jungen Männer, verlangten die Zerstörung von Monte Cassino. Aber einige amerikanische und französische Kommandeure wandten sich dagegen, denn sie waren nicht überzeugt, dass sich die Deutschen in der Abtei verschanzt hatten. Brigadier Butler, stellvertretender Befehlshaber der 34. US-Division, erklärte: »Ich weiß es nicht, aber ich glaube nicht, dass sich der Feind im Konvent aufhält. Der Beschuss kam immer von den Berghängen unterhalb der Mauern.« 37 Schließlich aber setzten sich die Briten durch, vor allem ihre indischen, australischen und neuseeländischen Truppenteile, die für die erste Angriffswelle auf die deutschen Stellungen
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