Monuments Men
westlichen Alliierten würden nicht in der Lage sein, ohne einen Hafen eine Armee mit Nachschub zu versorgen, aber die Soldaten strömten an den Utah Beach mit Waffen, Munition und vollen Treibstoffkanistern. Sie kamen nicht nur am ersten morgen, sondern Tag für Tag, überwiegend Infanteristen, aber auch Panzerführer, Kanoniere, Kapläne, Ordonnanzoffiziere, Pioniere, Sanitäter, Reporter, Schreibkräfte, Übersetzer und Köche. Sie landeten mit Wasserfahrzeugen aller Art, vor allem aber mit Panzerlandungsschiffen, den LST (Landing Ship, Tanks). Kilometerlang reihten sich »an allen Stränden LST aneinander, mit ihren großen, weit aufklaffenden Klappen, die Panzer, Lastwagen, Jeeps und Bulldozer ausspuckten sowie große und kleine Geschütze und Berge von Kisten mit Verpflegung und Munition, Tausende von Kanistern, die mit Benzin gefüllt waren, Kisten mit Funkgeräten und Telefonen, Schreibmaschinen und Formularen und allem sonstigen, was Soldaten im Krieg benötigen.« 50 Die Luft war erfüllt vom Dröhnen der alliierten Kampfflugzeuge – allein am D-Day wurden 14 000 Angriffe geflogen, und fast ebenso viele an jedem der folgenden Tage, an dem klare Sicht herrschte. Der Ärmelkanal war so mit Schiffen vollgestopft, dass die Überfahrt, die normalerweise einen Tag dauerte, mehr als einen Monat lang drei Tage in Anspruch nahm. Und inmitten dieses Sturms, nur ein paar Hundert Meter von Utah Beach entfernt, stand eine kleine, stille 400 Jahre alte Kirche.
Was mochten die Soldaten beim Anblick dieser Kirche gedacht oder empfunden haben? Die meisten der Männer am viereinhalb Kilometer breiten Utah Beach haben sie wahrscheinlich nie gesehen. Viele andere rannten an ihr vorüber, ohne sie wahrzunehmen, denn sie wird in den Erinnerungen oder den historischen Darstellungen des Krieges kaum erwähnt. Wahrscheinlich diente sie zunächst als Rastplatz, dann vielleicht als Treffpunkt, an dem sich die Truppen sammelten, bevor sie weiter landeinwärts zogen. Zweifellos starben hier Männer, die von Kameraden hierhergebracht oder von deutschen Mörsern, Kugeln oder Minen getroffen worden waren. Das Dach wurde durch Artilleriebeschuss beschädigt, die Balken zersplitterten, aber die kleine Kapelle hielt stand, und nach einiger Zeit wurden darin regelmäßig Gottesdienste für einige der Tausende Männer abgehalten, die an Land gingen, und für die Hunderte, die von der Front zurückkehrten.
In den ersten Augusttagen fiel erstmals einem Soldaten das Gemäuer auf. »Eine Kapelle namens Ste. Madeleine«, schrieb er. »Pater McAvoy hat ein Schild aufgestellt, auf dem ein täglicher Gottesdienst um 17 Uhr angekündigt wird. Schöne Renaissance-Architektur aus dem 16. Jahrhundert im Stil von Maison Carrée. Fragmente, die zur Restaurierung verwendet werden können, befinden sich auf und unmittelbar neben dem Gelände an der Straße. Das Hauptportal beschädigt durch einen Riss von Süden oder Westen her. Das hölzerne Dach in gutem Zustand und nur leicht beschädigt.« 51 Dann machte er ein Foto für die Akten und schickte es nach England. Dieser Soldat war Leutnant James Rorimer, der beharrliche Kurator des Metropolitan Museum, und im Unterschied zu den Tausenden übrigen Soldaten, die den Utah Beach überquert hatten, war er nicht hierher nach Frankreich gekommen, um die kleine Kapelle zu wie immer gearteten Kriegszwecken zu nutzen. Als Monuments Man war er hier, um sie zu retten.
Wie vieles andere in der Normandie verlief auch der Beginn von Leutnant Rorimers Einsatz nicht wie geplant. Er hätte eigentlich schon früher an Land gehen sollen, aber seine Überfahrt verzögerte sich, weil die Armee zuerst wichtigeres Personal an die Front bringen musste. Als er schließlich übergesetzt werden sollte, verpasste er sein Schiff – der diensthabende Kapitän war nicht informiert, dass ein Monuments Man mitfahren würde – einer der wenigen Soldaten, die keiner Einheit zugeteilt waren –, und legte schon früher ab. Daraufhin wurde Rorimer angeboten, mit einem der Schiffe am nächsten Tag zu fahren, und er entschied sich, mit französischen Kriegsveteranen überzusetzen, die gerade vom nordafrikanischen Kriegsschauplatz zurückgekehrt waren. Er wollte zusammen mit Truppen des Freien Frankreich auf französischem Boden landen.
Ende Juli glaubten die Alliierten noch, sie könnten im Eiltempo Frankreich durchqueren, aber acht Wochen später waren sie erst 40 Kilometer weit ins Landesinnere vorgestoßen. Anfang August waren die 2.
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