Monuments Men
britische Armee und deren Monuments-Offizier Bancel LaFarge nur noch wenige Kilometer von Caen entfernt, ihrem ursprünglichen Ziel am ersten Tag ihres Vormarsches. Mittlerweile waren fünf weitere Monuments Men in Frankreich angekommen, aber auch sie mussten feststellen, dass ihre Einsatzgebiete durch den langsamen Vormarsch eingeschränkt wurden. Der geplante Sturmlauf war zum Erliegen gekommen, und die Zeitungen begannen schon von »Stillstand« und von der gefürchteten »Pattsituation« zu schreiben. James Rorimer, der am 5. August an Land ging, war der letzte Monuments Man, der während der Hauptkampfhandlungen in der Normandie ankam.
Der Grund war sofort erkennbar: Es gab keinen Platz mehr für weitere Leute. Jenseits des Utah Beach fand Rorimer nicht die Stille und Ruhe der französischen Landschaft vor, die hier noch vor zwei Monaten geherrscht hatte, sondern eine Stadt, in der es von Soldaten wimmelte. In dem hinter ihm liegenden Ärmelkanal war die Lage »betäubend und höchst eindrucksvoll«, wie John Skilton berichtete, ein Civil-Affairs-Offizier, der später ein Monuments Man wurde. Der Ärmelkanal war bis zum Horizont voll mit Schiffen, die darauf warteten, anzudocken. Die Strände waren überfüllt mit Soldaten, unzählige weitere Soldaten wateten durch das Wasser an Land. Am Himmel über ihnen bildeten Tausende silberne Ballons einen Schutzschirm gegen feindliche Bomber. Darüber flogen die alliierten Kampfflugzeuge. Hinter dem Strand herrschte reger Verkehr. »Noch nie habe ich so viele Fahrzeuge unterschiedlichster Typen und Größen gesehen«, schrieb Skilton. »So weit das Auge reicht, bilden die Straßen eine ununterbrochene Reihe von Fahrzeugen.« 52
Aber erst als er in einem Fahrzeugkonvoi zum Hauptquartier der Advance Section fuhr, erkannte Rorimer die gigantische Dimension des Unternehmens. Um ihn herum erstreckte sich eine Mondlandschaft aus zerschossenen Maschinengewehrnestern, beschädigten Hecken und zerfurchter Landschaft. Zerstörte Fahrzeuge wurden von riesigen Bergefahrzeugen zu großen Gruben geschleppt, während zerborstene Geschütze und Befestigungsanlagen neben der Straße lagen. Flugzeuge donnerten unablässig über ihre Köpfe hinweg. Die Explosionen ihrer Bomben mischten sich mit dem Donnerhall hochgehender Minen. Die meisten davon wurden von Minensuchern zur Detonation gebracht, einige aber auch durch unglückselige Soldaten oder Zivilisten, die auf sie traten. »Der Versuch, inmitten all dieser klaffenden Krater und verkohlten Balken von Gebäuden den [kulturellen] Schaden zu ermitteln«, schrieb Rorimer nach seinem ersten Eindruck aus der Normandie, »wäre in etwa mit dem Versuch vergleichbar, Wein mit einem zerbrochenen Fass aufzusammeln.« 53
Das Hauptquartier der Advance Section (Ad Sec), das sich kilometerweit über Bauerngehöfte und Zelte erstreckte, wirkte kaum organisierter als die Strände. Nachdem Rorimer am Vortag sein Schiff verpasst hatte, rechnete man nicht unbedingt mit seinem Erscheinen. Er musste mehrere Kilometer gehen, um seinen Eid abzulegen, und dieselbe Strecke dann wieder zurück. Sein kommandierender Offizier warnte ihn kurz vor Sprengfallen, die in Schränken, Kirchenbänken und sogar auf Leichen gefunden worden waren, dann wandte er sich wieder seinen Landkarten zu. Das war’s. Rorimer war auf sich allein gestellt. So richtete er sich ein kleines Büro ein, lehnte sich zurück und überlegte, was er als Erstes tun sollte.
Er blieb nicht lange sitzen. Für die meisten Soldaten war der Krieg ein Zufall. Selbst die Offiziere wussten, dass sie nicht gegen Ungeheuer kämpften, sondern gegen Berufssoldaten, die zufällig eine andere Uniform trugen als sie. Aber für jemanden wie James Rorimer war dies die Aufgabe seines Lebens. Hitler hatte bereits 1939 der Kunstwelt einen Schuss vor den Bug versetzt, als in seinem »Blitzkrieg« gegen Polen auch Einheiten zum Einsatz kamen, deren Auftrag darin bestand, Kunstwerke zu rauben und die Kulturgüter des Landes zu vernichten. Die entscheidende Grenze wurde kurze Zeit später überschritten, als die Nazis den Krakauer Hochaltar des Bildhauers Veit Stoß – der zu den Nationalschätzen Polens zählte – beschlagnahmten und nach Nürnberg schafften. Dann raubten sie Leonardo da Vincis Gemälde Dame mit dem Hermelin, eines von rund 15 Bildern, die vollständig der Hand des Meisters zugeschrieben werden, sowie einige Bilder von Raphael und Rembrandt. Diese Kunstwerke, die mit Ausnahme des
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