Monuments Men
den Soldaten auf großes Interesse stoßen, denn sie lieferte ihnen Hintergrundinformationen über das Gebiet, um das sie kämpften doch dies erleichterte das Schreiben nicht unbedingt. Nancy war ein wirtschaftliches und kulturelles Zentrum, aber an diesen kalten Dezembertagen dachte Posey in erster Linie an die militärische Geschichte der Stadt. Die Soldaten kämpften und starben draußen in der Kälte, das konnte er keinen Augenblick vergessen. Er war mittlerweile mehr Soldat als Architekt, erkannte er; er hatte seiner Frau Alice geschrieben, dass »eine Armee besser dazu geeignet ist als eine Hochschule, um Menschen kennenzulernen mit denen man gerne Zeit verbringt. Hier gibt es anscheinend ein intensiveres Zusammengehörigkeitsgefühl.« 127 Und damit meinte er nicht seine Kollegen, die übrigen Monuments Men.
Posey hatte in der Vergangenheit keine Privilegien genossen. Er war auf einer kleinen Farm in der Nähe der Kleinstadt Morris in Alabama aufgewachsen, wo Architektur bedeutete, dass man ein paar neue Sperrholzbretter an der Hausmauer befestigte, und Kunst lediglich die Spiegelung des Himmels in einer Regenpfütze war. Doch was der Familie Posey an sozialer Stellung und materiellen Möglichkeiten fehlte, das glich sie durch ihre Geschichte aus. Alle Familienmitglieder – zumindest alle männlichen – konnten die Namen der ehrenvollen Vorfahren aufsagen: Frances Posey, der in den Kolonialkriegen gegen die Franzosen und gegen die Indianer gekämpft hatte; Hezekiah Posey, der sich während des Unabhängigkeitskrieges als Freiwilliger der Miliz von South Carolina angeschlossen hatte und 1780 von den Engländern verwundet worden war; Joseph Harrison Posey, der im Krieg von 1812 gegen die Cree-Indianer gekämpft hatte; Carnot Posey – der Rufname von Roberts Sohn Dennis lautete nach diesem Vorfahren Carnot –, der die Schlacht von Gettysburg überlebte aber vier Monate später an einer Verwundung aus dieser Schlacht starb; Carnots Bruder John Wesley Posey, der in der 12. Mounted Mississippi Infantry kämpfte – diese Soldaten ritten mit Pferden in die Schlacht und kämpften dann zu Fuß – und als einziger der acht im Militär dienenden Posey-Brüder den Bürgerkrieg nicht überlebte.
In Elsass und Lothringen im Osten Frankreichs war Posey von einer ähnlichen Geschichte von Ehre und Opfer umgeben. Wie die Friedhöfe bezeugten, hatte hier noch kaum eine Generation in Frieden gelebt, seit Attila das Römische Reich in die Finsternis gestoßen hatte. Vor einiger Zeit war Posey durch die Stadt Verdun gefahren, den Schauplatz der blutigsten Schlacht des Ersten Weltkriegs, wo eine Million Soldaten verwundet worden und 250 000 umgekommen waren. Er hatte die Soldatenfriedhöfe in Meuse-Argonne und Romagne-sous-Montfaucon besucht, auf denen die Gefallenen dieses Krieges lagen. »Der Große Krieg«, so nannten sie den Ersten Weltkrieg. »Der Krieg, der alle Kriege beenden sollte.« Aber in Montsec war das Denkmal zu Ehren der Toten des Ersten Weltkriegs von den Kugeln dieses neuen Krieges zerschossen worden. Und in St. Mihiel, einem amerikanischen Soldatenfriedhof, hatten deutsche Soldaten sämtliche Grabsteine zerstört, die einen Davidstern trugen.
Posey dachte auch an Weihnachten. Würde Woogie ihn vermissen? Würde es Geschenke und Strümpfe geben und Truthahn mit Füllung oder würde auch das rationiert sein? Hier in Europa würde eine kleine Feier stattfinden. Weihnachten war ein gewöhnlicher Werktag, so wie es auch in seiner Kindheit in Alabama gewesen war. In guten Jahren hatte der kleine Robert damals ein Taschentuch und eine Orange als Geschenk bekommen. Einmal hatte sein Vater ein kleines Wägelchen gebastelt – wenngleich das im Frühjahr gewesen war, nicht zur Weihnachtszeit –, und die Kinder ließen sich abwechselnd von der Familienziege umherziehen. Dann starb der Vater, und der 11-jährige Robert, der miterlebt hatte, wie seine jüngere Schwester zur Tante gegeben wurde, weil die Familie sie schlicht nicht ernähren konnte, hatte zwei Jobs angefangen, im Lebensmittelgeschäft und in einer Getränkeabfüllung.
Das Militär war seine Rettung gewesen. Sobald er alt genug war, hatte er sich zum Reserve Officers’ Training Corps (ROTC) der Armee gemeldet. Die Armee bot ihm Essen, Geld und eine Zukunft. Sie finanzierte seinen Weg zur Universität in Auburn. Dort sollte er ein Jahr studieren und sich dann mit seinem jüngeren Bruder abwechseln, denn sogar mit dem Geld des ROTC konnte die Familie
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