Moonlit Nights
Liam dann nie wieder unter die Augen
treten zu können. Die Angst überwog. Ich griff in meine Tasche,
während Liam um das Auto lief und mir die Tür öffnete. Diesmal
kam mir seine altmodische Erziehung sehr gelegen. Das
verschaffte mir ein bisschen Zeit, meine Haustürschlüssel schon
einmal rauszusuchen und in der Hand parat zu halten.
Ich stieg aus und wir gingen gemeinsam den Hof hinauf bis zur
Haustür.
Ich war so aufgeregt, dass ich immer wieder an dem Schlüsselloch
vorbeistocherte. Wie blöd konnte man eigentlich sein? Liam stand
grinsend daneben und beobachtete meine nervösen Versuche,
endlich die Haustür aufzuschließen, um verschwinden zu können.
Endlich – ich hatte den Schlüssel in die Tür geschoben und wollte
aufschließen, da stellte sich Liam mir in den Weg.
Erschrocken blickte ich an ihm hoch. Er lächelte immer noch
süffisant auf mich herunter. »Ich...«, begann er, doch ein
merkwürdiges, quietschendes Geräusch unterbrach ihn, was Liam
noch breiter und selbstgefälliger Grinsen ließ. Ich schaute auf die
Haustür und erschrak fast zu Tode, als ich bei genauerem
Hinsehen den Kopf meiner Mutter hinter der Gardine erkannte,
die unsere verglaste Tür eigentlich vor neugierigen Einblicken
schützen sollte. Wutschnaubend riss ich die Haustür auf, die
prompt auf Widerstand stieß. Ich schaute hinter die Tür und sah
meine Mutter, die sich verlegen die Stirn rieb. »Mutter!«, fuhr ich
sie an, doch sie lächelte nur. »Lasst euch nicht stören«, sagte sie
freundlich, schob mich wieder aus der Haustür und schloss die
Tür von innen. Völlig entgeistert starrte ich gegen die
geschlossene Haustür. Wer jetzt glaubte, der Kopf meiner Mutter
sei verschwunden, der irrte! Sie schien zu denken: »Jetzt, wo ich
sowieso entdeckt wurde ...«, und presste ihre Stirn weiter von
innen gegen Gardine und Scheibe. Liam schien davon völlig
unberührt zu bleiben. »Na dann... wo waren wir?«, neckte er
mich. Man musste nicht sonderlich feinfühlig sein, um
mitzubekommen, wie furchtbar peinlich mir die ganze Situation
war. Meine Mutter konnte so schrecklich sein! Ich starrte auf den
Boden und versuchte, meine Tränen zu unterdrücken. Ich musste
immer weinen, wenn ich mich schwarz ärgerte.
Eine absolut entwürdigende Eigenschaft. Aber ich konnte nichts
dagegen tun.
Sanft legte Liam seinen Zeigefinger unter mein Kinn und hob
vorsichtig meinen Kopf an, sodass er mir in die Augen schauen
konnte. Sein süffisantes Lächeln war einem liebevollen gewichen
und sein Gesicht kam meinem langsam näher. Ich hielt die Luft
an. Würde ich jetzt meinen ersten richtigen Kuss bekommen?
Während meine Mutter sich die Nase an der Fensterscheibe platt
drückte und zuschaute? Das durfte doch wohl alles nicht wahr
sein. Jetzt bloß nichts falsch machen, Emma. Aber was war
»falsch«? Ich spitzte meine Lippen und wartete, doch Liam schien
nicht die Absicht zu haben, mich auf den Mund zu küssen.
Federleicht berührten seine Lippen meine Stirn, ähnlich wie die
zarten Flügel eines Schmetterlings, und gaben mir einen
zärtlichen Kuss, der fast nicht zu spüren war. »Dann bis Montag«,
flüsterte er mir verschmitzt grinsend ins Ohr und ging zurück zu
seinem Wagen. Benommen torkelte ich durch die Haustür, die
meine Mutter mir bereits geöffnet hatte.
»Er ist ja so ein Gentleman«, rief sie begeistert, doch ich war noch
zu abgelenkt, um auf ihr Geplapper zu hören. Ich schlich die
Treppe hinauf, legte mich ins Bett und dachte über den Tag nach.
Mein Irrenzuhause
Nachdem sich der Sonntag unaushaltbar in die Länge gezogen
hatte, war endlich Montag. Ich freute mich auf die Schule oder
vielmehr, ich freute mich auf Liam. Ich war so euphorisch, dass
selbst der Sportunterricht, den ich heute hatte, meine Freude nicht
trüben konnte – und das wollte schon was heißen!
Liam wartete an unserer Laterne. Lässig dagegen gelehnt und wie
immer umwerfend gut aussehend. »Guten Morgen, Emma«,
begrüßte er mich mit einem strahlenden Lächeln.
»Hallo Liam«, entgegnete ich nicht minder gut gelaunt. Liam
schnappte sich meine Schultasche und schwang sie sich locker
über die Schulter. Wir gingen nebeneinander her und unsere
Hände berührten sich kurz. Ich überlegte, ob ich einfach seine
Hand nehmen und halten sollte, doch ich verwarf den Gedanken
schnell wieder. Das machte man schließlich nur, wenn man
zusammen war. Und Liam und ich waren nicht zusammen. Oder
doch? Möglich
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