Moonlit Nights
meine Richtung. »Pssst«, zischte
er zu mir herüber, als ich auf sein Näherkommen nicht reagierte.
Ich drehte meinen Kopf in seine Richtung. »Hast du schon
gehört?« Neugierig schaute ich ihn an. Was sollte ich denn gehört
haben? Wusste er etwa, wo Liam war? »Tyler wurde heute
Morgen tot aufgefunden.«
»WAS?!«, platzte es aus mir heraus. »Ja! Seine Leiche lag völlig
zerfetzt in einem Waldstück.« Wie bitte? Hatte ichrichtig gehört?
Wollte er mich verarschen? »Wie kommst du denn darauf?«
»Oh Emma … du kriegst auch gar nichts mit. Die ganze Schule
redet darüber.« Edwin verdrehte die Augen. »Aber …« Ich wollte
sagen, dass das gar nicht sein kann, dass ich Tyler gestern Abend
noch quicklebendig mit Liams Schwester gesehen hatte, doch ich
brach den Satz ab. »Wie, um alles in der Welt ist das passiert?«,
fragte ich vorsichtig. Ich war mir nicht sicher, ob ich das
überhaupt wissen wollte. »Sie vermuten, er wurde von einem Tier
angefallen. Den Zahnabdrücken nach zu urteilen, muss es so
etwas wie ein Hund gewesen sein. Nur größer!« Ich ließ mich
zurück in den Stuhl sinken. Ach du liebe Zeit! Da dachte man,
man wohne in einem kleinen Nest, wo niemals etwas passieren
würde und dann liefen hier Monsterhunde Amok! Wie
schrecklich, von einem Tier angefallen zu werden. Der arme
Tyler! Ich merkte, wie mir eine kleine Träne die Wange
hinunterlief. Die Klasse füllte sich langsam und unter den ganzen
Schülern kam auf einmal auch Liam in die Klasse geschlichen.
Bei seinem Anblick fing es in mir an zu brodeln. So langweilig
konnte der Geburtstag ja nicht gewesen sein! Liam sah fix und
fertig aus. Genau wie vor 29 Tagen. Seine sonst so
wunderschönen, leuchtenden Augen waren dunkel schattiert und
tiefe Augenringe ließen auf eine lange Nacht zurückschließen.
Sein Haar war unordentlich und das Hemd hing halb in und halb
aus der Hose. Aber nicht so, wie es modern war. Eher so, als wäre
er gerade erst aus dem Bett gefallen und hätte sich schnell in seine
Klamotten gewurschtelt. Liam warf seine Schultasche auf den
Tisch und ließ sich neben mich auf den Stuhl fallen. Nicht elegant
wie sonst immer, sondern plump. »Sorry, dass ich heute Morgen
nicht da war. Ich habe verschlafen.« Liam küsste mich flüchtig
auf die Wange und lächelte mich entschuldigend an. Grrr! Ich
ärgerte mich über ihn, doch man konnte Liam einfach nicht böse
sein. Schon gar nicht, wenn er einen so anschaute. Dann betrat
unser Schulleiter die Klasse. Er war bestimmt wegen Tyler
gekommen. Ob Liam schon davon gehört hatte? Ich lehnte mich
in seine Richtung und wollte es ihm zuflüstern, da merkte ich,
dass sein Kopf auf seiner Schultasche lag und er die Augen
geschlossen hatte. Das gab‘ s doch nicht! War Liam etwa schon
wieder im Unterricht eingepennt? Ich packte ihn am Oberarm und
rüttelte sanft daran. »Liam«, flüsterte ich, doch er schien mich
nicht wahrzunehmen. Ich rüttelte etwas fester. »Liam, du kannst
doch jetzt nicht schlafen! Der Schulleiter ist da.« Liam hatte
Nerven. Der Schulleiter stand in der Klasse, um irgendetwas
mitzuteilen und Liam legte sich auf den Tisch und schlief. Ich
kniff Liam in den Oberschenkel. Gar nicht so einfach, da
irgendetwas zum Reinkneifen zu finden. An Liam schien kein
Gramm Fett zu sein, also nahm ich etwas Haut zwischen zwei
Finger und drückte fest zusammen. »Au!«, maulte Liam und
blinzelte mich an. Ich kicherte. Irgendwie sah er süß aus. »Liam,
der Schulleiter …«, wiederholte ich, und endlich rappelte Liam
sich etwas auf. Er sah zwar aus, als würde er jeden Moment
wieder einschlafen, doch wenigstens saß er jetzt halbwegs
aufrecht. »Liebe Klasse«, begann der Schulleiter, »unter den
gegebenen Umständen, die Sie sicherlich alle mitbekommen
haben, ist sich unsere Lehrerschaft einig, den Unterricht für heute
ausfallen zu lassen.« Ein verhaltenes Jubeln ging durch die
Klasse. »Allerdings möchte ich mit euch – für euren ehemaligen
Klassenkameraden Tyler – eine Schweigeminute einlegen.«
Oh nein! Eine Schweigeminute! Hoffentlich musste ich nicht
lachen. Ich musste immer in den unpassendsten Situationen
lachen. Und das Schlimmste war, dass ich dann nicht mehr
aufhören konnte. Meine Eltern kamen an Weihnachten einmal auf
die Idee, mit mir in die Kirche zu gehen, um sich ein Krippenspiel
anzusehen. Am Ende legten wir – den Grund dafür weiß ich nicht
mehr genau – ebenfalls eine Schweigeminute
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