Moonlit Nights
Ich bekam
sowieso schnell blaue Flecke. Manchmal wusste ich gar nicht,
woher ich sie überhaupt hatte, und sie sahen wahrscheinlich auch
nur so schlimm aus, weil der Rest meiner Haut kreidebleich war.
Als wir an der Laterne ankamen, fragte ich Liam, was er heute
Nachmittag machte. »Ich glaub’, ich hau’ mich eine Runde aufs
Ohr. Ich bin todmüde.« Ich nickte. Er sah wirklich mehr tot als
lebendig aus. Liam verabschiedete sich mit einem Küsschen und
ging nach Hause.
Zu Hause angekommen legte ich mich erst einmal ins Bett. Es
war noch früh, also beschloss ich ebenfalls noch etwas zu
schlafen, doch ich konnte kein Auge zumachen. Ich dachte über
Liam und seine Schwester nach. Und vor allem über Tyler. Wieso
war Tyler gestern Abend in den Wald gegangen? War Liams
Schwester dabei? Oder war sie mit auf dem Geburtstag gewesen?
Wir hatten hier wilde Tiere, das stimmte. Doch ich hatte noch nie
gehört, dass ein Mensch von ihnen angegriffen wurde.
Ich hörte ein Auto. Meine Mutter kam gerade von der Frühschicht
wieder. Ich ging hinunter und begrüßte sie. »Du bist schon hier?«,
fragte sie mich erstaunt. »Ja, Schule ist ausgefallen.« Meine
Mutter nickte wissend. Offensichtlich hatte sich der Vorfall
bereits im Dorf herumgesprochen. Was auch sonst … »Und? Wie
geht es dir?«, fragte sie mich. »War Tyler ein guter Freund von
dir?« Ich schüttelte mit dem Kopf. »Wir hatten nicht viel
miteinander zu tun.« Ich brauchte ihr ja nicht zu sagen, dass Kyle
und Tyler mich immer ärgerten (oder zumindest geärgert hatten)
und die Tatsache, dass ich in der Klasse sowieso nicht viele
Freunde hatte, verschwieg ich lieber ebenfalls. Ich setzte mich an
den Küchentisch und legte nachdenklich den Kopf in die Hände.
Meine Mutter stellte eine Tasse heißen Kakao vor meine Nase
und setzte sich neben mich. »Du siehst so nachdenklich aus,
Mäuschen …« Vorsichtig nippte ich an dem viel zu heißen
Getränk. »Willst du mir nicht sagen, was dich bedrückt?« Sollte
ich ihr von der Sache mit Liams Schwester erzählen? »Manchmal
hilft es, darüber zu reden«, bohrte sie weiter. Ich gab mich
geschlagen. Sie würde sowieso nicht früher aufhören, bis ich ihr
irgendetwas erzählte und da meine Kreativität aufgrund meiner
vielen Gedanken äußerst eingeschränkt war, beschloss ich, ihr
einfach die Wahrheit zu sagen. Ob das ein Fehler war, würde sich
noch herausstellen. Andererseits hatte meine Mutter sich in
Sachen Liam in letzter Zeit als ziemlich loyal erwiesen, folglich
konnte ich ihr ein bisschen Vertrauen schenken. »Nun ja …«,
begann ich, und schaute dabei in das neugierige Gesicht meiner
Mutter. »Gestern Nachmittag war ich bei Liam.«
»Das ist doch schön für dich Schätzchen! Wie haben die‘ s denn
so?« Ich runzelte die Stirn. Ich versuchte, ihr etwas womöglich
Wichtiges mitzuteilen und sie fragte mich, wie Liams Wohnung
aussah. Zuerst wollte ich es ihr deshalb nicht mehr erzählen, doch
ich konnte nicht selbst entscheiden, wie wichtig die Information
war, die ich besaß. Sie war die Erwachsene – auch wenn ich nicht
oft das Gefühl hatte. Sie würde entscheiden, ob ich meine
Beobachtung irgendjemanden erzählen sollte oder nicht. »Ich hab’
Tyler gestern Abend noch gesehen.« Dem Gesichtsausdruck nach
zu urteilen, hatte meine Mutter mit allem Möglichen gerechnet –
nur nicht damit. Ihre Kinnlade klappte förmlich nach unten und
sie schaute mich erstaunt an. »Wo?«
»Als ich von Liam nach Hause gegangen bin.«
»Was hat er da gemacht?«
»Er ist zusammen mit Liams Schwester die Straße
entlanggegangen.« Meine Mutter atmete tief ein. Was hatte das zu
bedeuten? Warum sagte sie nichts? Musste ich das irgendwem
erzählen oder war es ohne Belang? »Das musst du sofort der
Polizei erzählen!«, wetterte jemand hinter mir los. Erschrocken
fuhr ich herum. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass mein
Vater mittlerweile in der Küche aufgetaucht war. So ein Mist. Ihm
wollte ich meine Beobachtung ganz bestimmt nicht erzählen. Ich
hatte das Gefühl, jetzt wo Liam und ich zusammen waren, könnte
er die Sache eventuell nicht mehr ganz so objektiv beurteilen, wie
es sein sollte. »Warum? Sie haben doch nichts gemacht«,
verteidigte ich Liams Schwester. Ich verteidigte Liams
Schwester?! »Das ist doch vollkommen egal. Sie ist
wahrscheinlich die letzte, die Tyler lebend gesehen hat und somit
verdächtig«, sagte mein Vater kaltschnäuzig. Ich schluckte. Von
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