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Moonshine - Stadt der Dunkelheit

Moonshine - Stadt der Dunkelheit

Titel: Moonshine - Stadt der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alaya Johnson
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feststellen musste, dass der Obdachlose anscheinend verschwunden war. Angesichts seines dauernden Rauschzustands hatte ich angenommen, dass er die meiste Zeit hier unten verbrachte. Ich ging zu seiner Ecke hinüber und sah, dass er eine zerschlissene Decke aus Sackleinen zurückgelassen hatte, die noch schlimmer stank, als ich es in Erinnerung hatte, außerdem einen ausgefransten Beutel mit halb aufgegessenen Süßigkeiten und zwei Flaschen Limonade. Vielleicht verließ er sich darauf, dass der Gestank mögliche Diebe abhielt, aber warum sollte jemand, der so wenig besaß, seine paar Habseligkeiten zurücklassen? War ihm etwas zugestoßen?
    Ich ging zum Schalter des Stationsvorstehers. Der Mann, der in der Kabine saß, war beleibt und hatte ein rotes Gesicht – ein ermutigender Anblick, nachdem ich tagelang nur von gefährlichen, dünnen und totenbleichen Vampiren umgeben gewesen war, die an den falschen Stellen gerötet gewesen waren. Er las eine Ausgabe der
Daily News
mit einer Titelgeschichte über das plötzliche Versiegen von
Faust
und Spekulationen, dass Jimmy Walkers geheime Drogenbeauftragten die Quelle entdeckt hätten. Unwillkürlich schnaubte ich, worauf der Stationsvorsteher endlich meine Anwesenheit bemerkte.
    Er sah mich durch das vergitterte Fenster hindurch an. »Kann ich Ihnen behilflich sein, Miss?«, fragte er.
    »Wissen Sie, was mit dem Obdachlosen passiert ist, der immer dort drüben saß?«, fragte ich und wies auf die Stelle. »Ich hatte gehofft, ihm etwas zu essen und ein wenig aufmunternde Lektüre von unserer örtlichen Wohlfahrtsorganisation bringen zu können.«
    Er sah mich mit leicht zusammengekniffenen Augen an, nahm dann seinen Zwicker ab und musterte mich noch einmal. »Oh, Sie sind doch diese junge Frau, nicht wahr? Diejenige, die gestern eine ganze Horde Blutsauger aufgemischt hat! Ich hätt’s nicht geglaubt, wenn ich nicht das Bild gesehen hätte. Meine Ma sagt, dass ein Mädchen sich nicht mit solchen Typen einlassen sollte. Aber ich find’s ausgesprochen sexy.«
    Ich blickte ihn finster an. »Ich wette, Ihre Mutter befürwortet Ihre Wortwahl auch nicht unbedingt.«
    »Gut möglich, Miss. Also, Sie wollen zum alten Rick? Er ist kein Blutsauger, falls Sie das meinen.«
    »Nein, nein, ich bin nur im Auftrag der Wohlfahrtsorganisation hier.« Meinte er, dass ich meine Tage damit zubrachte, umherziehende Vampire wie Mehlsäcke über meine Schulter zu schleudern?
    Stirnrunzelnd nickte er. »Tja, da kann ich Ihnen nicht helfen. Nett von Ihnen, diesem Kerl etwas Gutes tun zu wollen, aber ein Bulle ist hier gegen sechs heut früh vorbeigekommen und hat ihn mitgenommen. Hat ihm nicht mal Zeit gelassen, um seine Sachen einzupacken, wie Sie sehen. Schien so, als hätte Rick sich in den letzten paar Wochen in ein paar üble Geschäfte verwickeln lassen. Ich würde mich nicht wundern, wenn er nicht zurückkommen würde.«
    Verhaftet? Ich erinnerte mich an die gelb verfärbten Einstichstellen an seinen Armen. Sosehr ich es hasste, aber Alkohol
war
illegal, und Abhängige wie er waren leichte Beute für bestechliche Drogenbeauftragte. Glaubte die
Daily News
tatsächlich, dass Jimmy Walker auch nur das leiseste Interesse daran hatte, den Strom von
Faust
in die Stadt einzudämmen? Während er auf eleganten Partys in der Upper East Side weilte und mit einem Glas illegal importierten Champagners in der einen und einem Showgirl an der anderen Hand ein Gelage feierte?
    Letztlich waren das keine guten Neuigkeiten für Judah.
    »Haben Sie jemals eine Frau mit einem kleinen Jungen in der U-Bahnstation gesehen? So um die dreißig, mit braunen Haaren? Der Junge hat Sommersprossen. Nicht arm, aber auch nicht offensichtlich wohlhabend.«
    Sobald ich ihm die Beschreibung durchgegeben hatte, wurde mir klar, wie hoffnungslos es war. Wie nicht anders zu erwarten, runzelte der Stationsvorsteher erst die Stirn und schüttelte dann den Kopf. »Viele Leute benutzen täglich die U-Bahn, und solange sie nicht hier unten leben und so schlimm stinken wie der alte Rick, fallen sie mir nicht weiter auf. Tut mir leid.«
    Ich bedankte mich bei ihm und ging die Treppe hinauf. Eine eisige Böe raste vom Fluss herüber, und ich schnaufte wie ein verstopftes Auspuffrohr. Ich hustete heftig und lehnte mich Halt suchend an den schmiedeeisernen Zaun des kleinen Parks. Einige Leute musterten mich einen Moment lang besorgt, doch niemand blieb stehen. Als der Wind abklang und ich wieder atmen konnte, blieb ich zitternd stehen,

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