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Moonshine - Stadt der Dunkelheit

Moonshine - Stadt der Dunkelheit

Titel: Moonshine - Stadt der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alaya Johnson
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»Er sieht genauso aus wie Harry in dem Alter«, hatte sie wehmütig gesagt, als wir in die Droschke gestiegen waren. Ich fragte mich, wie viel Amir ihr über Judah erzählt hatte. Doch hier, mit beiden in einer Kutsche, waren wohl kaum der Ort und die Zeit, um danach zu fragen. Wir bestanden darauf, dass der Kutscher das Verdeck öffnete, so dass wir die Stadt in ihrer eisigen, riechenden Pracht bewundern konnten. Mir musste mein zerschlissener Wintermantel aus Tweed reichen, Mama dagegen trug eine Fuchsstola mit passendem Muff und Hut, die im Fenster einer Boutique in der Madison Avenue sicherlich nicht fehl am Platze gewirkt hätten.
    »Daddy scheint ziemlich gut im Geschäft zu sein«, sagte ich, als wir den Broadway entlangfuhren.
    Sie bemerkte, wohin mein Blick fiel, und strahlte. »Nur eine Kleinigkeit, die er mir zum Hochzeitstag geschenkt hat, Süße. Reizend, nicht wahr?«
    Finster starrte ich vor mich hin. »Sicher. Nichts geht über das gute Gefühl zu wissen, dass mindestens ein Dutzend Tiere ihr Leben geopfert haben, nur damit du es behaglich hast.«
    »Zephyr!«
    »Ich finde es ganz reizend, Mrs. Hollis.« Amir funkelte mich an, doch ich beachtete ihn gar nicht.
    »Zephyr ist sehr traurig«, sagte Judah. Wir hatten ihn sorgfältig eingepackt – als so junger Vampir musste er sich zwar keine Sorgen wegen des Sonnenlichts machen, dennoch war es besser, auf Nummer sicher zu gehen.
    »Ich glaube«, brummte ich, »ich mochte dich lieber, als du nicht gesprochen hast.«
    Judah sah zu Mama auf. Seine Augen waren groß und wirkten herzzerreißend verwirrt. »Es tut mir leid«, sagte er. »Soll ich besser den Mund halten, Winnie?«
    »Natürlich nicht, mein Süßer«, erwiderte Mama. »Du kannst mir alles sagen, was du willst.« Sie zog ihn in die gewaltigen Falten ihres Pelzes. »Entschuldige dich, Zephyr.«
    »Es tut mir wirklich sehr leid, Judah«, erklärte ich müde. »Ich bin ein fürchterlicher Mensch.«
    Amir warf mir einen eindringlichen Blick zu. Selbstverständlich saßen wir nebeneinander, was schlecht für meine emotionale Stabilität war, mir aber auch eine Ausrede bot, ihn nicht ansehen zu müssen. »Ich glaube, Zephyr hat einfach Hunger, nicht wahr, Judah?«
    Der Junge sah zwischen Amir und mir hin und her, und ich wollte unter seinem ruhigen, entzaubernden Blick zusammenzucken. »Ja. Sie hat auch Hunger, Onkel Amir.«
    Bei diesen Worten lächelte Amir ein wenig und bat den Kutscher, die Droschke anzuhalten. Er verschwand und kehrte kurz darauf mit einem Karton voller Hotdogs mit Soße und Senf zurück.
    »Na klar«, murmelte ich. Er gab mir eine Brezel und geröstete Nüsse. Ich war zwar hungrig, doch als Amir sich eingehend seinem Frankfurter Würstchen widmete, lenkte mich das irgendwie ab. Er schloss die Augen und stieß unwillkürlich Laute aus, die besser zu anderen Aktivitäten gepasst hätten.
    »Weißt du eigentlich, woraus Hotdogs hergestellt werden?«, fragte ich, weil meine Gemütslage nach mürrischer Gesellschaft verlangte.
    Er leckte sich einen Rest von Senf von den Fingern und grinste mich an. »Ich bin immun gegen deine Vorträge, Zephyr Hollis. Du wirst deine Ansprache vor deinen Freundinnen beim Treffen der Suffragetten halten müssen.«
    Mama lachte. »Ja, Süße, sei kein Miesepeter.«
    Saloppe Umgangssprache? Was kam als Nächstes – ein Turban mit Federn? Ich schloss die Augen und machte es mir in der Ecke der Droschke gemütlich. Mit meiner augenblicklichen schlechten Laune war ich ganz sicher keine gute Gesellschaft.
    Amir, Mama und Judah unterhielten sich, während ich mich ein wenig entspannte. Trotz des Wetters war mir seltsam warm, offenbar hatte Amir seine Wärmeproduktion meinetwegen dezent gesteigert. Während Judah erzählte, wurde mir klar, wie viel besser es ihm mittlerweile ging – verglichen mit seinem Zustand, als ich ihn gefunden hatte. Die Wandlung hatte ihm eindeutig geschadet, wenn auch auf eine andere Weise als Nicholas. Judah wirkte nicht besonders gewalttätig. Seine Erinnerung war so gut wie ausgelöscht, bis auf den Anfall, den Amir und ich mitbekommen hatten. Unterhalb dieser unheimlich ruhigen Oberfläche war er ein verstörend guter Beobachter. Ich schnappte wie eine Dosenschildkröte nach jedem, der mir zu nahe kam, und er sagte Amir, dass ich
traurig
sei?
    »Ich hoffe, wir tun das Richtige – ihn zu seinen Eltern zurückzubringen«, sagte ich so leise, dass nur Amir mich hören konnte. Ich hielt die Augen geschlossen, doch ich spürte,

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