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Moonshine - Stadt der Dunkelheit

Moonshine - Stadt der Dunkelheit

Titel: Moonshine - Stadt der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alaya Johnson
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um meine Sicherheit gesorgt, wenn er nicht so in sich gekehrt gewesen wäre, als würde er mich nur als irgendein körperliches Objekt im Raum wahrnehmen. Zugegebenermaßen war ich keine Expertin, was Mafiamorde betraf, doch sein Verhalten erschien mir nicht typisch für einen bevorstehenden Mord – selbst von jemandem, der so sonderbar und verkommen wie Nicholas war.
    »Charlie hat mir gesagt, dass es dringend ist«, sagte ich schließlich, als er eine Minute lang schweigend in der Höhle auf und ab gelaufen war. Meine Stimme wirkte wie ein unhöflicher Gast.
    »Charlie ist eine echte Plage«, schnaubte er, während er immer weiter lief.
    Toll. Ich hatte meinen bezahlten Job im Stich gelassen, um hierherzukommen, und jetzt redete Nicholas nicht einmal mit mir. »Hey«, sagte ich, nur um seine Aufmerksamkeit zu wecken. »Ich habe gehört, dass euer Lieferant euch den Hahn für
Faust
abgedreht hat.«
    Wie ich es mir erhofft hatte, sah er mich an. »Du hast deine Ohren an seltsamen Orten, Charity. Aber ich kann dir verraten, dass dieser Dieb nicht wirklich ein Neger ist. Der Boss würde das nicht dulden.«
    Ist dieser »Boss« ein Skinwalker und darüber hinaus ein intoleranter Kerl?, war ich versucht zu fragen. Nicholas hatte mich glauben gemacht, dass sein Vater ihn selbst gewandelt hatte, doch war es nicht möglich, dass Rinaldo jemand anders verpflichtet hatte, den Job zu übernehmen? Dore vielleicht? Das würde immerhin Nicholas’ offensichtliche Abneigung gegenüber dem Stellvertreter seines Vaters erklären. Andererseits hatte Amir möglicherweise gute Gründe zu denken, dass Rinaldo ein Vampir war. Ich musste dringend mit ihm reden.
    Glücklicherweise hörte Nicholas auf, hin und her zu wandern, und zog einen Brief aus seiner Tasche.
    »Ich will, dass du das hier liest«, murmelte er und reichte ihn mir. Das Papier war schon leicht zerknittert, die Ecken waren von fahrigen Händen ausgefranst, und dennoch fühlte sich das Blatt seltsam trocken an. Vampire schwitzen nun mal nicht. Vorsichtig faltete ich den Bogen auseinander und betrachtete die mit Schreibmaschine eng beschriebene Seite mit dem Briefkopf eines Anwalts – ganz offensichtlich ein offizielles Dokument.
    »Was ist …«
    »Lies es einfach vor!«, schrie er unvermittelt, und die Worte hallten noch ein paar Sekunden nach, nachdem er sie ausgespuckt hatte.
    Ich zuckte die Schultern und begann. »Hiermit beginnen der Letzte Wille und das Testament von RINALDO SANGUINETTI , dem bekannten Geschäftsmann aus dem Bezirk Little Italy in Manhattan. Mit diesem Dokument widerrufe ich jede zuvor aufgesetzte Verfügung und erkläre dieses Schreiben zu meinem Letzten Willen und Testament. Ich setze meinen Geschäftspartner Dore (kein Nachname) zum Vollstrecker dieses Testaments ein. Ich gebe und vermache die Überwachung meiner Geschäftsanteile und Interessen oben genanntem Dore, damit er unsere Geschäftsbereiche nach seinem Ermessen erhält und ausbaut, bis mein Sohn Giudo mit achtzehn Jahren das Volljährigkeitsalter erreicht. Hiermit vertraue ich Giudo der Obhut seiner Mutter Katerina an, bis dieser Zeitpunkt erreicht ist. Er bekommt für seine Erziehung und Ausbildung eine finanzielle Unterstützung in Höhe von zweitausend Dollar per annum. Katerina soll bis zu ihrem Tod eintausend Dollar pro Jahr bekommen – vorausgesetzt, sie enthält sich des körperlichen Kontakts mit anderen Männern und pflegt treu mein Andenken. Vorbehaltlich Dores Zustimmung zum Folgenden, was spezielle, unvorhergesehene Umstände betrifft, teile ich das Management meiner Geschäftsbereiche wie folgt auf …«
    Nicholas sprang auf und schmetterte die Hand gegen die Wand der Höhle. Stein zerbrach und fiel mit einer Staubwolke zu Boden. Er hatte sich den Handballen aufgeschürft, aber die zerfetzten Ränder der Haut bluteten nicht. »Ich wusste es!«, schrie er.
    Ich verhielt mich ganz ruhig und achtete darauf, dass mein Gesichtsausdruck keine Emotionen preisgab. Nicholas war schon an guten Tagen eher labil, doch jetzt hatte ich Angst, dass er wütend genug war, um mir weh zu tun, ohne es überhaupt zu bemerken.
    »Giudo!«, sagte er, und in seiner Stimme schwang ein unterdrücktes Schluchzen mit. »Giudo. Stehe ich im Testament, Zephyr? Du kannst es doch durchlesen, oder? Tauche ich irgendwo auf?«
    Ich verspürte einen scharfen Schmerz in meiner Brust und konnte die Ursache doch kaum glauben. War es möglich, dass Nicholas seinem Vater gleichgültig war? Nicholas war ein

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