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Moonshine - Stadt der Dunkelheit

Moonshine - Stadt der Dunkelheit

Titel: Moonshine - Stadt der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alaya Johnson
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»tanzen zu gehen«, wie Aileen es ausgedrückt hätte.
    Amir hatte mich noch nicht aufgesucht, und ohne ihn als wundersame Quelle, aus der meine finanzielle Galgenfrist gespeist wurde, musste ich andere Maßnahmen ergreifen. Da diese Maßnahmen entweder darin bestanden, ein Telegramm an meinen Daddy in Montana zu schicken und ihn um eine Leihgabe zu bitten, oder meine Seele an den
Bürgerrat
zu verkaufen … Natürlich würde ich mich an den
Bürgerrat
wenden. Oh, Daddy hatte das Geld. Er hortete es, als wäre Yarrow
Fort Knox
. Doch ich wäre eher gestorben, als ihn um Hilfe zu bitten, denn das würde nur beweisen, dass er recht gehabt hatte mit der Prophezeiung, dass ich es als »unnütze Weltverbesserin« in dieser Stadt nicht allein schaffen würde.
    Vermutlich würde ich Hygiene- und Ernährungskurse geben müssen. Ich hasste das. Man marschierte wie eine Bibelzitate hervorsprudelnde Missionarin in die Wohnungen von fremden Menschen, um ihnen zu erklären, dass das Essen, das schon die Großmütter ihrer Großmütter auf dieselbe Weise zubereitet hatten, plötzlich wissenschaftlich nachgewiesen mangelhaft sei. Man empfahl ihnen weniger günstiges Gemüse und mehr Fleisch zu verzehren. Als könnten diese Familien sich das leisten.
Verflucht sei Amir, dass er mir Hoffnungen gemacht hat.
    Es war noch früh – erst halb acht –, aber Aileen wartete schon auf mich, als ich nach Hause kam.
    »Gott sei Dank!«, sagte ich und schloss die Tür hinter mir.
    Sie sah von ihrem Buch auf, einem anderen als am vergangenen Abend. »Hast du gedacht, ich würde es nicht schaffen?«
    »Ich dachte, du würdest es vielleicht vergessen. Es
ist
Freitag.«
    »Wie könnte ich dein großes Debüt vergessen?« Sie hielt ein modisches Kleid aus gemusterter rosaroter Seide mit langen Fransen in die Höhe.
    Ich zog hastig meine Stiefel aus und lief zu ihr, um behutsam das Kleid zu berühren. »Ich kann kaum glauben, dass du das besorgt hast! Wie kannst du dir so etwas überhaupt leisten …«
    Träge zuckte sie die Achseln. »Oh, ich kenne da dieses Mädchen. Sie gibt all ihr Geld für Klamotten aus, und dieses Kleid ist bestimmt schon seit drei Jahren aus der Mode. Trotzdem …« Sie hielt mir das Kleid an. »Es wird
très chic
an dir aussehen.«
    »Ich verspreche dir, dass ich dir das Geld morgen zurückgeben werde. Horace hat versprochen, dass er mir etwas dafür zahlt.«
    Aileen verdrehte die Augen. »Wenn der fette Schmuggler dir wider Erwarten tatsächlich zehn Cent geben sollte, dann solltest du dir davon besser etwas zu essen kaufen. Du siehst dürrer aus als meine Großmutter während der Kartoffelknappheit.«
    »Aileen, woher willst du denn wissen, wie deine Großmutter während der Kartoffelknappheit ausgesehen hat?«
    Sie legte das Kleid aufs Bett und stemmte die Hände in die Hüften. »Damit du’s weißt: Die Fähigkeit des Sehens hat in unserer Familie keine Generation übersprungen, seit St. Patrick höchstselbst die Schlangen von der Grünen Insel vertrieben hat.«
    Ihr Akzent war während des Redens so stark geworden, dass ich am Ende des Satzes kaum noch etwas verstehen konnte. »Meine Güte«, sagte ich, »besitzt deine Familie etwa auch einen Kobold?«
    Ihre Mundwinkel zuckten verdächtig. »Wir haben ihn Bonnie Prince Charlie, dem hübschen Prinzen Charlie, geschickt.«
    »Trotzdem haben sie nicht daran gedacht, Steckrüben zu pflanzen.«
    Wir begannen zu lachen. »Jetzt mach dich endlich fertig«, sagte sie atemlos. »Ich spüre, dass sich heute für dich dramatische Veränderungen ergeben werden.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich hoffe nur, dass die Leute mich nicht von der Bühne buhen. Hast du gehört, dass sie im
Apollo
tatsächlich einen
Haken
benutzen?«
    »Nimm ein Bad! Du kannst noch lange genug nervös sein, nachdem ich aus dir eine umwerfende Schönheit gemacht habe.«
    Ich gehorchte, und als ich einige Zeit später ins Zimmer zurückkehrte, hatte sie anscheinend ihren gesamten Bestand an Kosmetikartikeln bereitgelegt. Die Sammlung war umfangreich, denn in dieser Stadt ein Vamp zu sein, erforderte peinlich genaue Pflege. Sie hieß mich, auf unserem wackeligen Stuhl vor dem gesprungenen Spiegel Platz zu nehmen.
    »Übertreib es nicht«, sagte ich aufgeregt, als sie ein Gefäß mit hautfarbener Creme in die Hand nahm.
    »Ach, mach dir keine Sorgen, Kleine«, entgegnete sie und hatte verblüffende Ähnlichkeit mit einer irischen Wahrsagerin, »ich werde so zahm sein wie ein Lamm.«
    Ich musste die

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