Moonshine - Stadt der Dunkelheit
und ich konnte angesichts der gedankenlosen Scheinheiligkeit meiner Begleiterin nur die Schultern zucken. Ich verstand, wie schwierig es selbst für diejenigen war, die für gleiches Recht auch für die
Anderen
kämpften, in ihnen mehr als gefährliche Tiere zu sehen.
»Zephyr Hollis, habe ich recht?«, sagte Lily. »Man nennt Sie die Vampirrechtlerin.«
Ich konnte mein unwillkürliches Zusammenzucken kaum verbergen. »Ich bin offensichtlich nicht ganz auf dem Laufenden. Heute Morgen habe ich den Namen zum ersten Mal gehört.«
Wieder umspielte ein kleines, wissendes Lächeln ihre Mundwinkel. Es war sicherlich etwas selbstgefällig, aber auch belustigt genug, dass ich langsam mit ihr warm wurde. »Und?«, sagte sie.
»Ich sollte mich bemühen, es als Kompliment zu nehmen.«
Sie lachte – ein so schönes, kultiviertes, damenhaftes Lachen, dass meine warmen Sympathien mit einem Schlag einem frostigen Gefühl wichen. Mein Gott, neben diesem Inbegriff an Schönheit fühlte ich mich wie ein Trampel. Zu allem Überfluss schlug Iris nun auch noch wie selbstverständlich vor, uns beide zum Essen einzuladen, und ließ keinen Widerspruch gelten – nicht einmal, als ich einwarf, dass ich mit dem Fahrrad zur Kundgebung gekommen sei. Offensichtlich kannte sie eine Methode, mit der man das Fahrrad mit einem Stück Seil und geringem Aufwand am Heck einer Kutsche festbinden konnte. Sie winkte eine Droschke heran, während Lily und ich an der Straßenecke warteten und gezwungen waren, uns in verkrampftem Small Talk zu ergehen.
»Woher stammen Sie ursprünglich? Sicherlich nicht aus New York, oder? Sie haben einen kleinen Akzent.«
Ihre Worte erinnerten mich an Amirs Bemerkung vom Vorabend, und ich wurde rot. »Montana«, entgegnete ich knapp. »Aus dem winzigen Örtchen Yarrow. Und Sie kommen sicher von Long Island.«
Sie hob ihre perfekt geschwungenen Augenbrauen. »Hey«, sagte sie gedehnt, »wie sind Sie darauf gekommen? Ich komme aus Manhasset, um genau zu sein.«
Ich sah sie nur an, nahm aufmerksam den gemusterten Seidenschal, die Perlenohrringe und die unzähligen anderen Belege für den ererbten Wohlstand und die Privilegien ihrer Familie auf und lächelte. Einen Moment lang schauten wir uns an, und als sie als Erste wegsah, verbuchte ich das als Sieg. Über ihre Schulter hinweg erhaschte ich einen kurzen Blick auf eine hochgewachsene Gestalt, die reglos in der Menschenmenge stand. Ich konnte nur den Hinterkopf und ein Stück seiner Wange sehen, doch für einen Augenblick war ich überzeugt, dass es Amir war.
Ich schnappte kurz nach Luft und fragte mich, ob ich nach ihm rufen oder zu ihm hinlaufen sollte. In meinen Ohren hallte die mahnende Stimme meiner Mutter wider, dass es sich nicht ziemte, so versessen zu erscheinen – obwohl, so versessen auf was eigentlich? Irgendjemand nahm mir kurz die Sicht auf ihn, und als der Blick wieder frei war, war er verschwunden. Was seltsam war, denn Amir war groß genug, um aus jeder Menschenmenge herauszuragen.
»Haben Sie jemanden entdeckt, den Sie kennen?«, fragte Lily.
»Ich … ich dachte es erst, aber ich habe mich getäuscht«, erwiderte ich und ignorierte ihren Hochmut.
Inzwischen hatte Iris eine Droschke aufgetan, und ich setzte mich zögerlich mit Lily in den Fond.
Die Journalistin verwickelte Iris die gesamte Fahrt über in eine Unterhaltung über Themen, von denen sie sicher sein konnte, dass ich nichts dazu beizutragen hatte. Na ja, wer war ich, wegen gesellschaftlichen Unbehagens eine Essenseinladung abzulehnen? Ich konnte nicht sagen, dass es mich besonders getroffen hätte, nicht an der Unterhaltung teilzuhaben. Meine Gedanken drehten sich um Amir – und das ließ sich auch nicht abstellen. War er tatsächlich auf dieser Kundgebung gewesen? Und wenn ja, warum? Wenn er heute Kontakt zu mir aufnehmen würde, dann würde ich ihm sicherlich meine Entscheidung wegen seiner Bitte mitteilen müssen. Obwohl ich wusste, wie meine Antwort vernünftigerweise lauten sollte, stellte ich fest, dass ich noch immer geneigt war, leichtsinnig zu sein.
Nach einem nur geringfügig peinlichen Essen, bei dem Lily und Iris eine unfassbar teure Hochrippe verspeisten, während ich Gurkensandwichs mit Kartoffel-Lauch-Suppe aß, entschuldigte Iris sich, um sich auf der Toilette kurz »frisch zu machen«. Wieder allein mit Lily, wurde mir außerordentlich bewusst, wie sehr die schicke Umgebung zu ihr passte und wie fehl am Platze ich darin wirkte. Der Junge mochte den
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