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Moonshine - Stadt der Dunkelheit

Moonshine - Stadt der Dunkelheit

Titel: Moonshine - Stadt der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alaya Johnson
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Augen schließen.
    »So!«, sagte sie nach einer halben Stunde. »Wunderschön. Mach die Augen auf. Du kannst es immer noch abwischen, wenn es dir nicht gefällt.«
    Derart ermutigt, betrachtete ich, was Aileen geschaffen hatte. Ein fremdes, magisches Gesicht blickte mir aus dem Spiegel entgegen. Die Augen wirkten unerhört groß und waren nur mit unwesentlich weniger Kajal umrandet als bei Vamps üblich. Die hohen Wangenknochen waren mit hellem Rouge betont, der Mund schimmerte rot, und die volle Unterlippe unterstrich den Charakter eines Schmollmundes. Mir hatte die Neigung meiner Unterlippe, leicht vorzustehen, nie gefallen, doch jetzt hatte Aileen etwas daraus gemacht, das beinahe … sexy wirkte.
    »Oh«, brachte ich hervor.
    »Ich bin ein Genie. Wann sollst du noch mal da sein?«
    »Um halb neun. Die Show beginnt um neun, und ich muss vorher noch mit der Band proben.«
    Allein diese Worte auszusprechen, jagte eine ganze Kolonie von Schmetterlingen durch meinen Magen. Ich konnte noch immer kaum glauben, dass Horace zugestimmt hatte, mich das Eröffnungsset in seinem Nachtklub singen zu lassen. Zugegebenermaßen hielten sich die Zuschauerzahlen zu dieser frühen Stunde an einem Freitag in Grenzen. Außerdem schuldete er mir einen Gefallen, nachdem ich seinen besten Posaunisten davor bewahrt hatte, von einem übereifrigen
Defender
aus Troys Gruppe gepfählt zu werden. Und dennoch – mein Leben lang hatte ich insgeheim von einer Chance wie dieser geträumt.
    Ich hatte früher in unserem Kirchenchor gesungen, bis Daddy (gegen Mamas Einwände) den Sonntag als Trainingstag auserkoren hatte. Später hatten sich meine gesanglichen Bemühungen auf den Hinterhof während der Verrichtung der lästigen Pflichten beschränkt. Wenn Harry gute Laune gehabt hatte, hatte er sich manchmal hingesetzt und mir mit den Hühnern zusammen zugehört, doch meistens hatten er und die anderen sich über mich lustig gemacht. Mama sagt, dass ich eine großartige Stimme hätte – aber sie ist ja auch meine Mama, und die Konkurrenz ist in Yarrow nicht gerade groß.
    Aileen nahm ein Ei von der Kommode, das ich gar nicht gesehen hatte, und schlug es über einer Schüssel auf.
    »Willst du das nicht erst mal kochen?«
    Sie grinste und begann, das Eiweiß sorgfältig vom Eigelb zu trennen. »Letztes Jahr habe ich in einer Illustrierten über diese Frisur gelesen, und ich muss es einfach ausprobieren.«
    Mit vor Entsetzen offenem Mund drehte ich mich zu ihr um. »Du willst
Eiweiß
auf mein
Haar
geben?«
    »Josephine Baker macht das auch.«
    Ich klappte den Mund zu und blickte wieder in den Spiegel. Josephine Baker kam für mich einer anbetungswürdigen Person schon sehr nahe, und Aileen wusste das.
    »Hast du das schon mal gemacht?«, fragte ich, als sie die klare, klebrige Flüssigkeit auf meinen Locken verteilte.
    »In dem Artikel klang es nicht besonders schwierig.«
    Ich schloss lieber wieder die Augen.
     
    Solange man meinen Kopf nicht berührte, der sich im Übrigen wie ein Helm mit Haarmuster anfühlte, war der Effekt ungewöhnlich und eindrucksvoll. Unter dem Eiweiß waren meine natürlichen Locken in festen, engelsgleichen Ringellöckchen erstarrt, die an meiner Kopfhaut klebten. Außerdem brachte es den natürlichen Rotton meiner Haare besser zur Geltung, so dass sie im Licht der Scheinwerfer geradezu feurig wirkten. Die Farbe passte exakt zum Rosa meines Kleides, das gewagte fünf Zentimeter über meinen Knien endete. Ich trug Aileens Strumpfhose aus Kunstseide und ihr bestes Paar hochhackige Schuhe, die mir nur unwesentlich zu klein waren. Ich hatte das Outfit mit einer doppelreihigen Kette aus echten rosafarbenen Perlen vervollständigt – ein Geschenk meiner Mutter zu meinem Auszug – und dazu passende Ohrringe und ein schlichtes Stirnband aus Spitze angelegt.
    Nun warf ich den ziemlich ramponierten schlichten Mantel über die Pracht und empfand ein unerhörtes Vergnügen dabei, in dem knappen Kleid auf dem Fahrrad durch den Schnee zu fahren, um kurz darauf und ein paar Minuten zu spät im Klub anzukommen. Aileen hatte versprochen, später ebenfalls vorbeizuschauen, um mich singen zu hören.
    Ich schloss mein Fahrrad am Zaun der benachbarten Kirche an und stieg dann in der 201 East Twenty-fourth Street die Treppe zum Klub hinab. Gebäude und Aufgang glichen den anderen in diesem ruhigen Viertel, das angeblich eine reine Wohngegend war – wobei jeder genau wusste, wo man Horace’ Klub finden konnte. Am Ende der Treppe

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