Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Moonshine - Stadt der Dunkelheit

Moonshine - Stadt der Dunkelheit

Titel: Moonshine - Stadt der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alaya Johnson
Vom Netzwerk:
verdammten Stadt? Ich hatte keinen Zweifel, dass Nicholas die deutliche, grauenhafte Wahrheit gesprochen hatte.
     
    Ich sehnte einen weiteren Zusammenstoß mit Daddy genauso herbei wie eine Auseinandersetzung mit einer Horde von Zombies, denen ich, nur mit einem Eisenlöffel bewaffnet, gegenübertrat. Andererseits hatte ich Angst, was er tun könnte, wenn ich im Vorfeld nicht ein paar Rahmenbedingungen mit ihm klärte. Natürlich war ich auch ziemlich neugierig, welchen Auftrag Troy bekommen hatte, der es nötig machte, meinen berühmten Vater den ganzen Weg von Montana hierherzulocken, damit er ihm half. Es musste eine bedeutende Jagd sein.
    Das
Gramercy Park Hotel
war mehr als eineinhalb Kilometer vom
Beast’s Rum
entfernt, aber wenigstens hatte ich beim Fahrradfahren etwas Zeit, um nachzudenken. Ich war mir nicht sicher, was mich an
Faust
mehr aus der Fassung brachte: das plötzliche, unangekündigte Auftauchen einer legalen Droge für Vampire oder die Tatsache, dass sie Rinaldo und die
Turn Boys
zu den unangefochtenen Königen von Manhattans organisierter Kriminalität machen würde. Wo die Macht wuchs, war die Gewalt nicht weit.
    Zu bald erblickte ich die vertrauten schmiedeeisernen Gitter und die perfekt in Form gestutzten Hecken des
Gramercy Park
. Wie die Madison Avenue weckte dieser Teil der Stadt manchmal Beklemmungen und manchmal Wut in mir, doch ich musste zugeben, dass Troy wusste, wie man einen Partner behandelte. Ich ließ mein Fahrrad beim verdutzten Concierge stehen und betrat den Aufzug. Dieses neue Hotel war der Gipfel des New Yorker Schicks. Wenn Troy es sich leisten konnte, meine Eltern hier unterzubringen, mussten er und die
Defender
erfolgreicher sein, als ich je gedacht hätte. Der Liftboy trug eine rote Samtjacke mit goldenen Schulterklappen und geprägten Knöpfen. Leicht herablassend nahm er meine Anwesenheit zur Kenntnis – sein Fahrstuhl war offenbar elegantere Personen gewöhnt.
    »Penthouse?«, wiederholte er ungläubig, als ich das Stockwerk nannte.
    »Ich würde ja mit dem Lastenaufzug hinauffahren, aber ich glaube kaum, dass mein Daddy darüber sehr erfreut wäre«, erwiderte ich mit einem süßen Lächeln.
    »Ihr Daddy …« Er räusperte sich. »Mr. Hollis?«
    Ich nickte.
    Er wandte sich hastig zu den Knöpfen um, und ich genoss den Anblick seines vor Ärger und Scham geröteten Nackens die ganze Fahrt über. Um ehrlich zu sein, war auch ich schockiert, dass Daddy es geschafft hatte, sich eines der teuersten Zimmer dieser goldenen Stadt leisten zu können. In Yarrow und Butte mochte man ihn wie einen König behandeln, aber New York war etwas anderes.
    Auf dieser Etage gab es nur eine Tür, also klopfte ich an. Mama kam in einem blau und burgunderrot gemusterten Kimono, in dem sie erschreckend modisch wirkte, an die Tür.
    »Zephyr!«, sagte sie, als hätten wir uns nicht erst am Nachmittag gesehen. Andererseits war es vielleicht besser, wenn wir alle so taten, als wäre es nie geschehen. »Komm rein, dein Vater kümmert sich gerade um seine Sammlung.«
    »Sammlung« war der beschönigende Ausdruck meiner Mutter für Daddys Waffenarsenal. Silberkugeln waren ein praktisches, aber ungeschliffenes, ungalantes Instrument gegen viele
Andere
 – vor allem Vampire. Also zogen Daddy und
Defender
wie er die altmodische geweihte Klinge vor. Er war gerade damit beschäftigt, seine Messer zu schleifen, bis sie eine rasiermesserscharfe Klinge hatten. Für gewöhnlich sang er währenddessen ein Liedchen – verstörende, blutrünstige Texte, die er auf die Melodien traditioneller Bergarbeiterlieder dichtete.
    Warum auch nicht? Er musste schließlich nichts weiter tun, als die Art und Weise des gewaltsamen Todes in den Texten zu ändern. Er und Troy hatten sich früher nach einer erfolgreichen Jagd in Yarrow gern betrunken und diese Lieder bis spät in die Nacht gegrölt. Es sah so aus, als ginge Daddy davon aus, dass er hier ein bisschen Spaß haben würde – wie in guten alten Zeiten.
    »Hallo, Daddy«, sagte ich, als er nicht zu mir aufsah.
    »Zephyr«, erwiderte er. Dabei benutzte er meinen vollen Namen so gut wie nie. Mein Gott, er schmollte!
    »Was hast du geglaubt, dass ich in New York tue, Daddy? Mich dem Bibelstudium und der Suppenküche widmen?«
    Er hielt weiterhin den Blick gesenkt. »Ich habe geglaubt«, sagte er und fuhr mit der Klinge über den Schleifstein, dass die Funken stoben und man unwillkürlich erschauderte, »dass du noch immer mein kleines Mädchen wärst.

Weitere Kostenlose Bücher