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Moonshine - Stadt der Dunkelheit

Moonshine - Stadt der Dunkelheit

Titel: Moonshine - Stadt der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alaya Johnson
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sagte ich mir, während ich über die vereisten Straßen fuhr, wird die Erweiterung seines Horizonts ihm helfen zu verstehen, wie böse sein Verhalten ist.
    Ich schnaubte unwillig.
Ja, klar, Zephyr, genau deshalb schicken gebildete Menschen wie Präsident Wilson hunderttausend Jungs los, um in einem Krieg zu sterben, der die finanziellen Interessen amerikanischer Raubritter wie J. P. Morgan schützt – weil er so einen ausgezeichneten moralischen Kompass besitzt.
    Was war mit meinem? Wenigstens würde den Opfern von Nicholas nicht noch mehr Leid zugefügt, weil ich ihn unterrichtete. Plötzlich tauchte das Bild von Amir vor meinem inneren Auge auf, der sich in seinem Apartment gegen die Wand lehnte, der Schmerz in jeder seiner Bewegungen offenbar. Ich musste ihm einfach helfen.
    Um zwei Minuten nach sieben kam ich schlitternd vor dem
Beast’s Rum
zum Stehen, wo Nicholas mich bereits erwartete. Er lehnte in der geöffneten Tür, mit leuchtenden Augen und einem Lächeln auf den Lippen, bei dem mein Herz zu hämmern begann wie das eines in die Ecke getriebenen Tieres. Selbstverständlich wusste er es. Es ist zwecklos, die eigene Angst vor einem Vampir verstecken zu wollen.
    »Du bist zu spät«, sagte er ziemlich milde.
    Ich wusste, dass seine beunruhigend junge, melodische Stimme mir Angst machen sollte, stattdessen wurde ich mit einem Mal wütend. Es kam mir vor, als hätte mir in den letzten drei Tagen jeder verdammte Mann, mit dem ich gesprochen hatte, Angst einjagen wollen, um mich gefügig zu machen. Allmählich hatte ich es satt. Mit einem groben Ruck löste ich das Fahrradschloss vom Lenker und machte das Fahrrad an einem Laternenpfahl fest.
    »Also«, sagte ich, als das Schloss klickte. »Willst du das Alphabet hier im Schnee lernen, oder gehen wir rein?«
    Er grinste mich an. Ich musste an Schimpansen denken, von denen man sagt, dass sie lächeln, wenn sie zornig sind, und nicht, wenn sie sich freuen. »Noch immer wild entschlossen, es zu tun, Florence Nightingale?«
    Ich nickte nur schroff und ging an ihm vorbei ins dunkle Innere des
Beast’s Rum
. Im nächsten Moment stand er vor mir, lachte mit seiner ruhelosen, pubertären Stimme und rief den anderen Mitgliedern der
Turn Boys
, die in der Kneipe hockten, Beschimpfungen zu.
    »Bruno«, sagte er zu dem geschuppten Barkeeper, der mir neulich schon aufgefallen war. »Hast du noch etwas von dem neuen Zeug?«
    Bruno warf mir einen argwöhnischen Blick zu und zuckte die Achseln. »Im Augenblick nicht, Nick. Heute Abend soll eine weitere Lieferung kommen. Ich werde einen von deinen Jungs losschicken, um die Übergabe an der Pell Street zu überwachen.«
    Nicholas legte den Kopf schräg, schnappte sich einen
Turn Boy
, der in der Nähe saß, und packte ihn fest im Genick. Die Geste sollte Freundlichkeit vorgaukeln, wirkte aber eher, als wollte er ihn bestrafen.
    »Charlie«, knurrte Nicholas und hatte den rechten Arm so eng um dessen Hals gelegt, dass der Junge nach Luft rang. »Ich glaube, du bist dran, die Übergabe zu überwachen, richtig? Wenn ich dran denke, dass du die letzte Lieferung vermasselt hast,
testa di minchia
?« Charlie sah ein paar Jahre älter aus als er, doch Nicholas’ Überlegenheit war unbestritten.
    Charlie versuchte, sich ihm zu entziehen, aber Nicholas wandte sich blitzschnell um und verstärkte seinen Griff um Charlies Hals noch. Ich zuckte zusammen, blieb aber stehen, wo ich war. Schließlich hatte ich gewusst, worauf ich mich da einließ, als ich mich einverstanden erklärt hatte.
    »Nick, Nicky …«, krächzte Charlie, »ich habe dir doch schon erklärt, dass es nicht meine Schuld war. Die verdammten
Westies
haben uns eine Falle gestellt. Ich konnte nichts tun.«
    »Was ist, wenn die
Westies
dir heute Nacht wieder eine Falle stellen? Nimmst du dann auch deinen Anteil von ihnen und überlässt ihnen unsere Ware?«
    Charlie schüttelte heftig den Kopf. »Natürlich nicht. Du weißt, dass ich dir das niemals antun würde, Nicholas. Du bist alles, was ich habe. Die
Turn Boys
sind meine Familie. Niemand sonst.«
    »Nicht die
Westies

    »Nein!«
    Nicholas biss sich in die Fingerknöchel und riss eine fast abgeheilte Wunde wieder auf, ehe er mit der anderen Hand gewaltsam Charlies Mund öffnete. »Schwör es!«, rief er und klang dabei wie ein kleiner Junge, der ein großes Indianerehrenwort von seinem besten Freund einforderte. Trotzdem lachte ich nicht.
    »Ich schwöre es«, stieß Charlie hervor. Er wimmerte. Zwar leise, doch da

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