Moonshine - Stadt der Dunkelheit
es in der Kneipe totenstill war, konnten ihn alle gut hören.
Nicholas ballte die verwundete Hand zur Faust und ließ das dickflüssige, fast schwarze Blut in Charlies Mund tröpfeln. Der Junge würgte, und sogar ich verspürte den Drang zurückzuweichen. Der Gestank von Vampirblut ist bei einem lebendigen Vampir genauso unerfreulich wie bei einem ausgebluteten. Wenigstens war ich daran gewöhnt.
»Trink,
idiota
. Vielleicht erlaube ich dir heute Abend, etwas von dem guten Stoff zu nehmen, um den Geschmack in deinem Mund zu neutralisieren.«
Er wartete, bis Charlie geschluckt hatte, und ließ ihn los. Der Vampir taumelte ein paar Schritte zur Seite, aber blieb dann stehen. Er sah Nicholas mit einem Ausdruck auf dem Gesicht an, der auf ekelerregende Weise nahe an Anbetung war. Wahrscheinlich hatte er es ernst gemeint, als er gesagt hatte, dass die
Turn Boys
seine einzige Familie seien. Was für ein grauenhafter Gedanke.
Nicholas lachte und schlug Charlie auf den Rücken. Ich war angespannt und erwartete einen weiteren Gewaltausbruch, doch die Stimmung des Anführers wechselte anscheinend so schnell wie der Wind.
»Also gut. Je eher du die Lieferung bekommst, desto glücklicher sind wir alle – habe ich recht, Jungs?«
Alle in der Bar lachten und johlten zustimmend, als hätten sie nicht gerade zugesehen, wie derselbe junge Vampir sein giftiges, stinkendes Blut in die Kehle eines ihrer Kumpel hatte tropfen lassen. Charlie nickte knapp und rannte mit der unnatürlichen Geschwindigkeit der Vampire aus der Tür. Ich meinte, gesehen zu haben, dass seine Schultern leicht zitterten – er würde zumindest nicht so schnell vergessen, was an diesem Abend geschehen war.
Ich starrte noch immer zur offenen Tür, als Nicholas an meiner Seite auftauchte.
»Eine unvermeidliche Verzögerung«, sagte er, als wäre er ein Gentleman aus der Oberschicht, der wegen eines Krocketspiels zu spät kam. »Du wirst mir hier Unterricht geben.« Er öffnete eine Tür, die sich am Ende der Bar verbarg.
Mit seinem Arm erreichte er kaum die Kordel, um die nackte elektrische Glühbirne anzuschalten. Der Raum war klein, noch kleiner als das Zimmerchen, das ich mir mit Aileen in Mrs. Brodskys Pension teilte, und wirkte wie ein Vorratsschrank, den jemand planlos ausgeräumt hatte. Zur Hälfte war das Hinterzimmer noch immer mit staubigen Kisten und zerbrochenen Musikinstrumenten gefüllt, und im frei geräumten Bereich standen ein Tisch aus Kiefernholz und zwei Stühle. Ein zerschmettertes automatisches Klavier lehnte an der Wand am anderen Ende des Raumes.
»Spielst du ein Instrument?«, fragte ich.
Nicholas schlug die Tür hinter sich zu. »Ich hasse Musik«, zischte er.
Mein Herz begann zu rasen. Unter keinen Umständen wollte ich etwas Ähnliches wie die brutale Attacke auslösen, deren Zeugin ich gerade in der Bar geworden war. Ich hatte nicht die Kehle eines Vampirs, und wenn er versuchte, mir sein Blut einzuflößen, würde ich einfach nur langsam und qualvoll sterben.
»Es … es tut mir leid«, murmelte ich. »Ich habe bloß die Sachen gesehen und mich gefragt …«
Natürlich bemerkte ich erst jetzt, dass sie alle zerschlagen, zerrissen oder zerschmettert waren. Das Werk von Nicholas, nahm ich an.
»Sie gehören meinem Vater«, erwiderte er. »Er macht für sein Leben gern Musik.«
Tja, dachte ich, augenscheinlich bin ich nicht der einzige Mensch auf der Welt, der Probleme mit seinem Daddy hat.
»Also«, sagte ich und rieb mir die Hände in einer – wie ich hoffte – professionellen Geste, die die heraufbeschworenen Geister vertreiben sollte, »lass uns anfangen. Kennst du das Alphabet?«
Nicholas starrte mich an und setzte sich hin. »Ich kann meinen Namen schreiben«, entgegnete er.
Ich unterdrückte ein Seufzen. »Das ist ein Anfang.«
Wir hatten uns bis zum L vorgekämpft, als Charlie mit einigen unauffälligen Fässern zurückkehrte, die vermutlich aus der Pell-Street-Lieferung stammten. Die Tür zum Thekenraum war zwar geschlossen, doch die Leute in der Bar feierten seine Rückkehr, und der Lärm drang durch die dünnen Wände. Nicholas blickte auf, seine Augen glänzend vor Blutfieber, und ich wusste, dass keine Chance bestand, ihn jetzt noch davon zu überzeugen, sich auf den Rest des Alphabets zu konzentrieren. Ich fühlte mich sowieso erschöpft und frustriert, denn ich war auf meiner Suche nach Rinaldo noch keinen Schritt weitergekommen, und der Unterricht war anstrengend gewesen.
Nicholas hatte
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