Moonsurfer
noch einen schlappen Musketenschuss hinter seiner Beute.
Da plötzlich trudelt ein Pfauenfeder-Dreispitz im Wind heran, hoch über den Segeln seiner Jolle.
»Abfalleeeen!«, brüllt er.
Fassungslos starrt ihn der Rest seiner Mannschaft an, von der nur noch eine Handvoll übrig ist.
»Abfallen, verdammt! Holt meinen Hut aus der verfluchten Brühe! Den verdammten Verräter und seine kleine Hure kriegen wir, seid gewiss, doch mein schöner Hut wird absaufen, wenn ihr ihn nicht auf der Stelle herausfischt!«
Doch damit macht Gaspar den Fehler seines nur nochkurzen Lebens und wird dennoch ohne seine Federn in die ewigen Jagdgründe der Karibik eingehen.
Als er nämlich den tropfnassen Hut aus der See gefischt hat und das Ding gerade zurück auf seinen gewohnten Platz bugsiert, muss er feststellen, dass die Jolle sinkt. Sie gleicht einem Bretterzaun, dem ein Drittel der Latten fehlt. Solange sie noch volle Fahrt machte, hatte sie genügend Auftrieb. Bei Stillstand aber drücken sofort die Wassermassen sprudelnd in den Rumpf.
Gleich darauf ragt nur noch die Bordwand heraus und die Männer stehen bis zum Bauch im Meer. Dann ist auch der letzte sichtbare Rest des Schanzkleides verschwunden und um die verbliebenen sechs Piraten herum steigen Luftblasen auf. Die verblüfften Männer stehen - schaukelnd um einen Mast vereint - in den Wogen, die den entsetzten Nichtschwimmern schnell bis zum Hals reichen. Erst jetzt erwachen die Männer aus ihrer Todesstarre, und einer nach dem anderen greift sich eine im Meer treibende Planke, sei sie auch noch so klein. Nacheinander verschwinden sie in den Wellentälern, während Gaspar nicht bemerkt, dass die löcherige Finne eines Hais auf ihn zuhält.
Das Tier hat nicht vergessen, dass es der selbsternannte Gouverneur persönlich war, der sich im Piratenhafen die Zeit mit dem Zielschießen auf seine Rückenflosse vertrieben hatte.
Gaspar, der eben einem seiner Männer einen Pistolenknauf über den Hinterkopf gezogen hat, um sich eine der dickeren Planken zu sichern, rückt sich gerade wieder seinen Hut zurecht … als er am Bein gepackt und nach unten gezogen wird.
Blubb!
Gaspar gibt es nicht mehr. Nur sein Dreispitz ist noch von ihm übrig und dümpelt einsam in den Wellen.
An Bord des Auslegerbootes
Steven stöhnt.
»Er wacht auf!«, stellt Snake fest und kramt eine letzte Kokosnuss aus der Vorratskiste. Er schlägt seine Notration mit dem Säbel auf und lässt ein paar Tropfen des süßen Kokoswassers in den Mund des Verletzten rinnen. Mehr können sie nicht für ihn tun.
Snake befiehlt, einen Treibanker zu bauen: Sie umwickeln die leere Vorratskiste mit einem Tau, verbinden sie mit einer langen Leine am Heck und werfen die Kiste hinaus in die See. Die Strömung wird an dem schwimmenden Anker zerren, der dazu dient, das Auslegerboot in sicherer Position in der Welle zu halten. Jetzt können sie sich treiben lassen, ohne Gefahr zu laufen, zu kentern. Solange das Boot selbst nicht auseinanderfällt, sind sie für den Moment einigermaßen sicher, wenn auch ohne Nahrung und Wasser.
Die kleine Gruppe kauert sich an den dürren Masten ihres Gefährtes unter das trostlos flatternde Segel. Sie wissen, dass sie zwar der einen Gefahr glücklich entkommen, aber in eine andere geraten sind. Denn Land ist schon seit Stunden nicht mehr zu sehen, und wenn der wolkenverhangene Himmel den Blick auf Sonne und Sterne nicht rechtzeitig wieder frei gibt, wird jede Orientierung hier draußen unmöglich sein. Also bleibt ihnennur die Hoffnung, dass sich das Wetter bessert und dass die Gewitterstürme und die raue See nicht die Vorboten eines Hurrikans sind.
Aber der Seegang beruhigt sich nicht und die dunklen Wolken jagen weiter über den Himmel. Nur der Wind lässt ein wenig nach. Das kleine, ächzende Gefährt, auf dem die Erschöpften kauern, treibt führungslos durch die Wasserwüste, einen düsteren Tag, eine dunkle Nacht. Ihr quälender Durst wird nur von den wenigen Tropfen gelindert, die sie mit den Händen auffangen können.
Dann lösen sich die Taue, mit denen Moonsurfer und der Einbaum zusammengehalten werden, endgültig auf.
Das Auslegerboot fällt auseinander.
Die Küste nördlich von Captiva, vormittags, Bewölkung; Zoom in die Totale, Vogelperspektive
Erst Tage später geben die Wolken den Blick auf einen schmalen, lang gezogenen Strand frei. Leblose Körper liegen in der Brandung oder im Sand. Ein paar Schritte entfernt ein Kanu in einem Gewirr aus Leinen, Stangen und
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