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Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
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gewarnt, nicht allein zu baden. Wie sie auf ihr Wohl bedacht gewesen sei, die Gesundheit der Nachbarin ihre größte Sorge. Die Einstiegshilfe. Frisches Marktgemüse, als Abwechslung zum ewigen Spiegelei. Zweimal wöchentlich den Rücken geschrubbt. In der Apotheke die teuersten Gels bestellt, damit das Ekzem endlich abheilt, und sie wischt sich die Träne aus dem Augenwinkel. Eine Demenz, zudem schwere Diabetes, das sei nicht aufzuhalten, beruhigt sie der Arzt und legt ihr die Hand auf den Arm; wenn ihr, Marga, das ein Trost ist, Frau Schäfer sei ohne Schmerzen gestorben, friedlich eingeschlummert in der warmen Wanne.
    Sie wird trotzdem ein wenig trauern, immerhin war die Verstorbene der einzige Mensch, dem sie in den letzten Jahren so nah gekommen ist. Sich dann zur Ordnung rufen, weil das Leben ja weitergeht. Der Vermieter wird einverstanden sein, Frau Schäfers Mietvertrag auf sie, Marga, zu überschreiben, eine Renovierung sei ohnehin längst überfällig. Die Kosten für den Wasserschaden übernimmt die Gebäudeversicherung. Alle anderen anfallenden Rechnungen begleicht sie aus der Schatulle. Am Morgen nach ihrem Einzug bereitet sie sich das Frühstück, den Muckefuck mit viel Zucker. Danach wird sie den Kleiderschrank ausmisten, die Sachen von früher in die Sammlung geben. Endlich nicht mehr die Haare färben. Das Zupfen und Feilen sein lassen. Den Flecken auf ihren Händen bei der Vermehrung zusehen. Fett werden. Baden nur noch mit Julius’ Hilfe, alles andere ist zu gefährlich, sie könnte ausrutschen und sich den Oberschenkelhals brechen. Den Allestopf kochen aus dem Wenigen, was der Vorratsschrank hergibt. Während des Wunschkonzerts summt sie zu Florian Silbereisen, bis Julius nach Hause kommt, in den Händen endlich das BWL-Diplom, woraufhin sie mit ihm den Pikkolo köpft.
    Das Wasser regnet von den Lampen, stürzt über die Möbel, reißt schon an ihren Leibern. Sag es, fleht er ihr ins Ohr, sag, dass du mich liebst! Kaskaden stürzen auf seine Schultern, schwappen in den aufgerissenen Mund. Sie drückt ihre Lippen darauf, küsst den stummen Satz hinein, den sie ihm nicht geben will, noch nicht, später vielleicht. Am Boden steigt das Wasser, leckt schon an ihren Schenkeln. Sie spürt seine Hände, die ihre Brust kneten, setzt sich auf seinen Schwanz, schließt die Knie um seine Hüften, kommt mit dem Mund ganz nah an sein Ohr. Mein armer Junge, haucht sie, und er: hMama, nicht! Dann drückt sie ihn sanft, doch bestimmt in die Tiefe.
    ◆◆
    Die Stille schwillt an, wird zum Brausen, dumpf und dunkel, ein Geräusch wie auf dem Grund des Meeres. Warum sagt sie nichts, denkst du und presst den Telefonhörer noch fester ans Ohr, sie ist doch dort, du hörst sie ja atmen. Ein Knarren hinter dir, du fährst herum. Hannes steht am Treppenabsatz, Tanja in den ausgebreiteten Armen. Mit einer Hand stützt er ihren Kopf, die andere hat er unter ihr Gesäß geschoben. Wie sie ihre Stirn an seine Schulter schmiegt, die Beine über seinen Unterarm geschlagen, wirkt sie geborgen, schlafend und von ihm geschützt; fast bist du neidisch, dass sie so bei ihm liegen darf. Der Welpe springt an seinem Bein hoch, wedelt freudig mit der Rute; die Kinderspiele scheinen weiterzugehen.
    Wer dran sei?, flüstert er herunter. Du zuckst die Achseln,horchst noch einmal in die Leitung. Gleich wird sie es sagen, denkst du, nach diesem Atemzug. Doch da ist ja kein Atem. Nicht dieses Wissen um Margas Anwesenheit, ihre Arme für dich ausgebreitet, sobald du Trost brauchst, ihr Körper der ewige Ort, der, immer wenn du sie an den stillen Nachmittagen irgendwo im Haus oder drüben in der Werkstatt wusstest, Teil deiner Welt war. Da ist nichts mehr, nur noch das Rauschen.
    Hannes kommt die Treppe herunter, Schritt für Schritt, mit Schweißperlen auf der Stirn, die Augen voller Fragen und Angst. Was machen wir jetzt mit ihr? Er streckt dir den reglosen Leib entgegen, und erst als du unter dem zur Seite gefallenen Zopf den Bluterguss siehst, der sich in ihrem Nacken ausbreitet, weißt du, dass am anderen Ende der Leitung niemand mehr ist; nicht Tanjas Mutter, die euer Spiel durchschaut hat, nicht die Polizei, die bereits nach den Tätern fahndet, und nicht Marga, die noch den Satz sagen muss, den einzigen, der dich aus dieser Not noch retten könnte.
    Am Heidedamm, den es als letzten trittfesten Pfad vor der Weglosigkeit des Moores längst nicht mehr gibt, neigt sich unter der Schneelast eine Birke. Ihr langsames Rucken, das Loslassen

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