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Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
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und Aufgeben ihres einzigen und unersetzbaren Ortes ohne ein Zeichen von Gewalt; sacht, fast träumerisch biegt sich der Baum, vielleicht morsch, überaltert oder im Stamm vom Fraß der Jahre schon ausgehöhlt, in die Schräglage, bis der Sturz unvermeidlich ist und er sich dem Sog der Schwerkraft ergibt, entgegen seiner Bestimmung, des unermüdlichen und bisher gegen alle niederzwingenden Einflüsse wehrhaft gebliebenen Aufstrebens und Hinaufwollens.
    Ausgerechnet der weiche, leichte Schnee bringt die Birke zuFall. Doch selbst jetzt noch kein Stürzen. Gedämmt von der sich um den Stamm türmenden Verwehung reißen die Wurzeln lautlos, und scheinbar verlangsamt vor dem blanken Hintergrund, dem alle Anhaltspunkte, an denen das Auge noch eine Geschwindigkeit bemessen könnte, abhandengekommen sind, sinkt der Baum zu Boden, würdevoll, fast feierlich, in einer selbstvergessenen und sich selbst erlösenden Bewegung abwärts, ergeben und fallsüchtig, doch ohne Aufprallgeräusch, nur mit dem stummen Bruch der Krone und ihrer über Jahre gewachsenen, gleichzeitig planmäßigen wie zufälligen Ordnung der Zweige, Äste, Gabelungen, in ihrer Mitte der vielleicht einmal irrtümlich, zu schnell oder krankhaft gewucherte und deshalb am oberen Teil des Stammes abgestorbene, über die schlanke Wintersilhouette der Birke knorrig hinausragende Stumpf, der auf den letzten Metern, ohne den Willen zur Zerstörung zwar, aber mit schwerwiegenden Folgen, das Telefonkabel vom Mast reißt.
    Du hörst das Knacken in der Leitung, mein Ausatmen, letztes Wort dieses Tages. Dann nichts mehr, nur noch Schnee, die große Stille. Jetzt kannst du sprechen.

drei.
FRÜHLING
    Sie fliegen das Wasser ins Moor. Vor der grellen Sonne ziehen Hubschrauber ihre Bahn, die Schatten zeichnen sich auf der Asche nicht ab. Noch drückender als der Lärm der Maschinen lastet danach die Stille in der Luft, das Rascheln der Wirbelschleppen in den verbrannten Binsen wie Geflüster, als würde die Ebene darüber spotten, dass man mich mit ein paar Wannen voll Wasser löschen will.
    Sie haben mich eingekreist, mit Bändern, Wachposten und Warnschildern von der Außenwelt abgeriegelt, die schon früher unsicheren Gebiete sind jetzt Zonen höchster Lebensgefahr. Wanderer werden zurückgeschickt, Schaulustige weitergedrängt, Schneisen ins Gras geschlagen; auf den Landkarten kennzeichnen Raster schon verlorene oder akut bedrohte Bereiche. Die Spezialisten versichern, die Lage im Griff zu haben, doch unter der Grasnarbe schwele ich weiter, breche an anderer, noch nicht markierter Stelle wieder hervor, führe die Feuerwehrtrupps in die Irre.
    Die Bauern sind in Sorge und treiben das Vieh auf den angrenzenden Magerwiesen zusammen. Ihr Misstrauen ist groß, der Groll gegen die Behörden uralt, ihr Land ihnen heilig. Nicht das Moor wollen sie schützen, doch ihre Häuser und Ställe, die Kinder, die an den frisch ausgehobenen, aus Hydranten gefluteten Gräben stehen und den leuchtfarbenen Löschbehältern nachblicken, die an Seilen in den Himmel steigen und statt bunter Papierdrachen den Frühlingeinleiten. Die Mutigen haben die Brücke überquert, unter den wackligen Bohlen keine Kopfweidengesichter mehr, nur eine blinde Schicht Lehm; drüben trägt der Boden, schnappt nicht, knistert dürr unter den Sohlen. Das Wollgras blüht wie jedes Jahr Anfang Mai. Auf wogenden Zeilen züngeln die weißen Flämmchen in die Senken hinaus, fressen sich durch das vertrocknete Gras, der Aschekante entgegen, die ins Land einen zweiten, ungleich näheren Horizont zieht.
    Da hockst du wieder auf dem Baumstumpf, Schultern gebuckelt, Schlagschatten im Gesicht, zupfst das trockene Moos von der Rinde, zwischen den Fingern zerfällt es zu Dreck. Neben deinen Füßen steht der Rucksack. Mehrmals hast du ihn gepackt und wieder ausgeleert. Du wogst das Geliebte gegen Notwendiges ab, Zahnbürste und Schlafanzug siegten über Huckleberry Finn und den Libellenführer, den du in der Stadt nicht brauchen wirst. Später vielleicht wieder; es sollten ja nur ein paar Tage werden, sprachst du dir selbst Mut zu. Du wolltest in der Klinik um Hilfe bitten, hattest keine Wahl mehr. Dort, dachtest du, würde man sie noch vom Winter kennen. Alle wüssten, was zu tun ist. In der Nähe wolltest du dir ein Zimmer nehmen; im Kleiderschrank hast du in einem ihrer Mäntel fünfzig Mark gefunden. Dieses Mal würdest du bei ihr bleiben, sie nicht wieder so lang allein lassen. Wenn sie dir, wie in den Winterwochen, Besuche

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