Moor
weil sie plötzlich Hunger verspürte, danach geangelt, blind ins Dunkel zwischen seinen leicht gespreizten Beinen, dabei ist ihr der Becher weggerutscht und Röcker, wegen des Colaschwalls, zurückgeschreckt, danach hat sie jeden weiteren Annäherungsversuch aufgegeben. Jetzt klebt der Boden, kleben ihre Füße unter dem Sitz und die in ihrem Plan enggetaktete Zeit, die ihr bis zur Abfahrt des letzten Busses noch bleibt, zäh an dem Kerl, der neben ihr an seinem Strohhalm nuckelt, obwohl der Becher schon leer ist. Auf der Leinwand wälzt sich ein bulliger, bereits ergrauter Amerikaner, der einmal, denkt sie, nicht übel gewesen sein muss, mit ähnlichen Schmatz- und Gurgelgeräuschen auf die kleine Französin. Sie ergibt sich in die Flut der orangenen und roten Bilder, Farben wie von einem endlosen Sonnenuntergang, was sie nicht nur in der Malerei heikel findet, auch im Film bereiten ihr orangerote Sonnenuntergänge Unbehagen.
Scarlett O’Hara, erinnert sie sich, schwor in Vom Winde verweht , dem Kassenschlager, den sie damals mit Gila zum Auftakt einer ihrer Nächte gesehen hatte, vor einem solchenSonnenuntergang dem Unglück ab, das sie, die Hauptfigur, eine Filmüberlänge lang verfolgt hatte: Sie, Marga, falsch, Mira, hatte später vor dem Kino wie Scarlett O’Hara beziehungsweise ihre Darstellerin Vivien Leigh die Faust zum Himmel gehoben, der aber nicht wie im Film ein zürnendes, schwarzglutiges Firmament, sondern ein trüber Hamburger Regenhimmel gewesen war, ich schwöre bei Gott, hatte sie gerufen, wie zuvor die Heldin vor dem heroisch flammenden Horizont, und Gila lachte, stieß ebenfalls die Hand in die Luft, gemeinsam gelobten sie mit den finalen Worten des Films: Ich werde nie wieder hungern!, zu den tropfenden Dachrinnen hinauf und ins Gesicht eines alten Mannes, der mürrisch aus einem Fenster glotzte. Dann waren sie feixend zum Tanzlokal und in die Arme der Türsteher gerannt, hinein in das große Fressen der Nacht.
Jetzt hat sie von ihrem Friseur in Zeeve erfahren, dass die Schauspielerin trotz dieses Schwurs und seines großen Erfolgs an den Kinokassen an ihren Depressionen elendig zugrunde gegangen ist, in Ruhm und Luxus sozusagen verhungert, seufzte der Haarschneider, der sich in den Leben und Leiden großer Frauen gut auskennt, und sie hat triumphierend genickt und an ihr Gefühl von Freiheit und Glück denken müssen, als sie mit Gila durch den Kiez gestöckelt war und die Blicke genossen hatte, begehrliche Blicke in rotem und orangenem Schein, Lichter, die, wie sich später im Modehaus mit seinen ähnlich flackernden Lämpchen herausstellte, die Farben der Leere sind, der Langeweile und Ernüchterung, rotorange und nicht, wie es naheliegt, schwarz und weiß.
In Schwarzweiß nämlich würde ihr der Film besser gefallen, klare Linien, harte Schatten, Grenzen, die nicht aufgelöstwerden können. Schwül und rotlichtschwanger aber auch die Geschichte, eine, wie sie nur ein Mann erzählen kann, von einem heruntergekommenen Amerikaner in Paris, der auf Sex ohne Gefühle steht, schmutzigen, leeren Sex in einer schmutzigen, leeren Wohnung, aber wieso? Aha, sie war zu ungeduldig mit ihren Fragen, denn nun kommt die Schlüsselszene, die Frau des Amerikaners ist kurz zuvor durch Selbstmord aus dem Leben geschieden, der Mann seitdem vor Trauer kalt und starr, was eine der nächsten Szenen veranschaulicht, auf dem rotorangenen Boden der im Pariser Sonnenuntergang flirrenden Wohnung, wo der Amerikaner jetzt den Arsch seiner Geliebten mit einem Stück Butter geschmeidig macht, und ihre Hand rutscht von der Sessellehne auf Daniels Knie, doch die Knie schnappen nicht zu, nur die Faust, die ihre Hand aufs Polster zurückschiebt und fest umklammert, als wären sie beide wieder sechzehn und dieser Kinobesuch das große Versprechen, all das gemeinsam durchzustehen, was der Film am Ende nicht mehr zeigen wird, erschlaffte Gesichter und Geschlechter, Zank und Frust, das Schwarz und Weiß nach dem Sonnenuntergang.
Vivien Leigh, entsinnt sie sich der Worte ihres Friseurs, sei erst hinauf in den schillernden Zenit des Erfolgs, dann hinunter in die dunkelste Nacht, also Gemütshölle, aus der sie selbst die Elektroschocks, die man ihr in der Nervenklinik zahlreich verabreichte, nur für kurze Zeit herausblitzen konnten, wobei er nicht blitzen , sondern herausholen oder etwas Ähnliches gesagt hatte, aber Marga der Gedanke an einen erst kürzlich verstorbenen jungen Mann aus der Umgebung wie ein Blitz durch den
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