Moorehawke 01 - Schattenpfade
unterhielt sich mit Lorcan – einem begeisterten, aber grauenhaften Flötisten – über Musik. Wynter wollte ihn nicht kränken und einen weiteren bissigen Wortwechsel riskieren. Wenn er sich einbildete, dass jedermann diese Feierlichkeiten besuchen konnten, würde Razi ihn wohl diplomatisch aufklären müssen.
Razi neigte ihr seinen Lockenkopf zu und flüsterte amüsiert grinsend: »Das liegt daran, dass er tatsächlich mitkommt.« Seine Augen tanzten, als er sie prüfend ansah. Wynter versuchte, sich ihre Verwunderung nicht allzu sehr anmerken zu lassen, aber es wollte ihr nicht so recht gelingen. Vergnügt gluckste er. »Das wird die Hohen Herren und Damen zu Tode ärgern.«
Wynter schnappte nach Luft. »Oh, Razi, nein! Sag bitte nicht, dass er an der Hohen Tafel sitzt! Sie werden ihn vergiften lassen!«
Razi machte eine knappe Geste an seiner Kehle. »Darüber macht man keine Witze, Schwester. Nein, die letzten vier Abende saß er an der Bürgertafel. Eine große Ehre.«
»Eine große Ehre«, murmelte sie und schielte hinter sich. Christopher beschrieb gerade ihrem Vater etwas und wedelte vollkommen unbefangen mit den Armen herum. Lorcan lachte, woraufhin Christopher in gespielter Kränkung die Augenbrauen hochzog, kurz innehielt und dann fortfuhr, sein fremdländisches Garn zu spinnen. Wynter zog eine Grimasse. »Wahrlich, eine große Ehre.«
»Er findet es unerträglich öde«, seufzte Razi. »Mein Gott, Wynter, ich muss ihm recht geben. Ich hasse das alles, nachdem ich so lange frei davon war. Vater...« Er unterbrach sich, um einem entgegenkommenden Höfling zuzunicken, verneigte sich vor einem Grüppchen Damen und verzichtete darauf, noch mehr über den König zu sagen.
»Hast du denn im Maghreb nicht Hof gehalten, Razi?«
Wieder dieses gutmütige Lächeln, diese kleinlaut verzogenen Mundwinkel. »Zum großen Verdruss meiner Mutter nicht.« Einen kurzen Moment verlor er sich in Gedanken an einen warmen, nach Gewürzen duftenden Ort. Sein Lächeln wurde traurig, er sah sie wieder an. »Ich hatte dort ein Heim , Wyn. Es war wundervoll. Genau das möchte ich in Padua haben, ein richtiges Heim mit einer richtigen Familie und richtigen Freunden. Ich möchte …«
»Wir sind da, Fürst Razi.« Unbemerkt war Lorcan von hinten an sie herangetreten.
»Ja.« Razi betrachtete die Tür, die sie in die königlichen Gemächer führen würde. Dort versammelten sich vor einem Fest nur die königliche Familie und deren hochangesehene Begleiter, also mussten sich Razi und Lorcan hier von Wynter und Christopher trennen, um sich dem Hofstaat zuzugesellen.
Lorcan beugte sich hinab, um Wynter rasch auf die Wange zu küssen und ihr die Schulter zu drücken. Dann schob er Razi durch die Tür und zog sie leise hinter sich zu.
Einen Augenblick lang blieb Wynter vor der geschlossenen Tür stehen. Als sie sich umdrehte und ziellos umherblickte, stellte sie fest, dass Christopher sie beobachtete. Ein flüchtiges Lächeln enthüllte die Grübchen zu beiden Seiten. »Ich gehe hier entlang.« Christopher deutete auf den langen Gang, der zum Einlass für die einfachen Bürger führte. Sein Gesichtsausdruck besagte: Geht es dir gut? Soll ich bei dir bleiben?
Doch sie atmete tief durch und straffte die Schultern. »Eine gesegnete Mahlzeit wünsche ich dir, Christopher, und mögest du am Morgen wohlauf sein.«
Wieder diese verwünschten Grübchen, doch immerhin besaß er genug Anstand, sich höflich zu verneigen, bevor er ohne ein weiteres Wort fortging. Selbst von hinten wirkte er belustigt.
Der Bankettsaal war bereits gut besucht. Vor allem die Hohen Tafeln, je eine zu beiden Seiten des großen Raums, füllten sich rasch. Am hinteren Ende des Saals und somit am weitesten vom königlichen Podest entfernt, stand die Bürgertafel, an der Diener und niedere Höflinge Platz nehmen durften, welche die besondere Gunst des Königs genossen. Am Kopf des Raums wiederum befand sich das zweistöckige königliche Podest, geschmückt mit weißem und leuchtend rotem Stoff: Die höhere Ebene war für den König, seine Königin und den Thronfolger reserviert. Auf der unteren stand ein langer Tisch für die Ratsherren, einige auserwählte Adlige sowie weitere Kinder des Herrschers, die sich gerade am Hofe aufhielten. Für den König würde es ein einsames Mahl, dachte Wynter. Seine Königin war tot, sein Thronfolger vermisst und Razi durch das Hofzeremoniell auf die untere Stufe des Podests verbannt.
Ein Page trat auf sie zu und fragte, ob
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