Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Moorehawke 01 - Schattenpfade

Moorehawke 01 - Schattenpfade

Titel: Moorehawke 01 - Schattenpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kiernan Celine
Vom Netzwerk:
ungeduldige Geste und scheuchte den verblüfften jungen Mann von seinem Sitz auf. Gehorsam schritt Christopher langsam in den oberen Teil des Saals.
    Nein! Um Himmels willen, hatte der König den Verstand verloren? Konnte er wirklich so wahnsinnig sein, Christopher an die Hohe Tafel zu beordern? Hasste er ihn so sehr? Wollte er etwa, dass er von den Wölfen zerrissen wurde?
    Bestürzt beobachtete Wynter, wie der Page den betretenen Christopher durch das weite Niemandsland führte, das zwischen dem Revier der einfachen Leute und der Hohen Tafel lag.
    Lass ihn nicht im Stich! , dachte sie. Lass ihn nicht dort stehen, um sich selbst einen Platz zu suchen.
    Doch sie wusste, wusste einfach, dass der Page genau das
tun würde, denn gerade die Dienerschaft war entsetzt über diesen Verstoß gegen die Rangordnung, diesen entsetzlichen Affront gegen das Hofzeremoniell.
    Wie von Wynter befürchtet, geleitete der Page Christopher ans Ende der Hohen Tafel, deutete mit unbestimmter Geste auf die Bank und machte sich davon. Seine zusammengeschlagenen Hacken hatte man in der nun nahezu vollkommenen Stille deutlich gehört. Christopher verweilte unsicher am Ende der sehr langen Reihe geflissentlich zugewandter Rücken, sein Übermut war wie weggeblasen.
    Etwa zehn Gedecke von ihm entfernt gab es einen freien Platz, und dankbar hielt Christopher darauf zu. Doch während er sich noch durch den schmalen Spalt zwischen Bank und Wand drängte, rückten die Damen und Herren hin und her und ordneten sich neu an, so dass die Lücke wie durch Zauberei verschwunden war, als Christopher dort ankam. Er hielt kurz inne und betrachtete den strengen Rücken vor sich auf dem eben noch freien Sitz. Dann bewegte er sich bedächtig auf den nächsten verfügbaren Platz zu, obwohl man seinen brennenden Wangen ansah, dass er wusste, was passieren würde. Und so war es – bevor er sie erreichen konnte, war die Lücke geschlossen.
    Einmal, zweimal, dreimal versuchte Christopher es, während die Hohe Tafel ihr kindisches Spiel trieb. Schließlich blieb er einfach stehen, starr vor Ärger, die Wangen der einzige Farbtupfer in seinem Gesicht.
    Er wird weggehen, dachte Wynter. Er wird sich auf dem Absatz umdrehen und gehen, und das wird das Ende sein. Eine solche Beleidigung des Königs zu überleben, ist ausgeschlossen. Natürlich war es genau das, was die Hohen Herren erreichen wollten, denn jetzt den Saal zu verlassen bedeutete, dem König seine Großherzigkeit ins Gesicht zu schleudern – damit hätte
Christopher jede Möglichkeit vertan, am Hofe bleiben zu können. Und das wäre für uns alle das Beste, dachte Wynter, ohne den vor Wut schäumenden Christopher am anderen Ende des Tisches aus den Augen zu lassen. Das Beste für Razi, das Beste für Christopher, das Beste für mich .
    Sie schloss die Augen und flehte sich selbst an, ihn einfach gehen zu lassen. Doch das hätte Wynter eine Grausamkeit abgefordert, die nicht in ihrem Wesen lag. Also öffnete sie die Augen seufzend wieder und nahm das scharfe Messer von dem Holzteller vor sich. Wie beiläufig legte sie die Hand auf den freien Platz zwischen sich und Andrew Pritchard und lehnte sich zurück, so dass Christopher sie zwischen den aufgereihten steifen Rücken erkennen konnte. Einladend hob sie das Kinn.
    Er entdeckte sie sofort. Ihr offenes rotes Haar rückte ganz plötzlich in sein Blickfeld, und sie bemerkte sein Zögern, die Verunsicherung in seinen Augen. Er glaubt, ich will ihn hereinlegen, stellte sie überrascht fest. Er glaubt, ich werde ihn bis hierher locken und ihn dann ausschließen, genau wie die anderen . Sie verbarg ihre Enttäuschung über seinen Verdacht nicht und sah ihm an, dass er sich eine Entscheidung abrang.
    Schritt für Schritt schob er sich an der Bank entlang, das Gesicht immer noch von zorniger Verlegenheit verzerrt. Die Adligen stupsten und rutschten und zappelten, um nur ja keine Lücke für ihn entstehen zu lassen.
    Als Andrew Pritchard an der Reihe war und den leeren Sitzplatz neben sich beanspruchen wollte, machte seine Hüfte unversehens Bekanntschaft mit Wynters scharfem Fleischmesser. Ein erschrockener Seitenblick begegnete Wynters blitzenden grünen Augen, und Andrew zuckte genau im rechten Moment zurück – mit einem gezielten Satz sprang Christopher
über die Bank und ließ sich auf einem der besten Plätze im ganzen Saal nieder.
    Die Musik spielte weiter und überbrückte das drückende Schweigen, bis die Gespräche allmählich wieder in Gang kamen.

Weitere Kostenlose Bücher