Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Moorehawke 01 - Schattenpfade

Moorehawke 01 - Schattenpfade

Titel: Moorehawke 01 - Schattenpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kiernan Celine
Vom Netzwerk:
wusste nun, warum Razi ihn überredet hatte zu kommen. Christopher war Razis Freund. Er liebte ihn, und Razi vertraute ihm. Vertraute darauf, dass er ihm den Rücken freihielt. Vertraute darauf, dass er auf ihn achtgab, dass er sein Leben beschützte.

    In Christophers Gesichtsausdruck erkannte Wynter sich selbst wieder. Es ängstigte und tröstete sie gleicherma ßen, dass sie beide bereitwillig ihr Leben für Razi geben würden.

Das Festmahl
    D er Page schaffte es nicht mehr, Razi die Botschaft zu überbringen. Unmittelbar nachdem seine verängstigte Gestalt in den königlichen Gemächern verschwunden war, schwang die Tür wieder auf, und die ersten Ratsherren schritten in den Saal. Wynter konnte noch das verzweifelte kleine Gesicht des sich an die Wand drückenden Jungen erkennen, als die schwarz gekleideten Männer an ihm vorbeimarschierten.
    Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht, das konnte jeder Dummkopf sehen. Die sechs Ratsherren liefen beinahe geduckt, ihre Mienen ein eigenartiges Gemisch aus Furcht und Zorn. Die Soldaten hinter ihnen schienen weniger ihrem Schutz zu dienen, als vielmehr dazu, sie in den Bankettsaal hinauszutreiben. Mit plötzlich staubtrockenem Mund bemerkte Wynter, dass die ledernen Hüllen von den Speeren der Soldaten abgezogen waren und die Metallspitzen aufblitzten.
    Langsam und ohne ihn dabei anzusehen, griff sie nach Christophers Arm. »Setz dich, Christopher«, mahnte sie sehr leise. »Setz dich hin, und keine abrupten Bewegungen.«
    Er suchte ihre Augen, und sie hob das Kinn und erwiderte den Blick; seine Wut prallte gegen ihre geübte Beherrschung. Vertrau mir, Christopher, das ist nicht die Zeit für Taten . Folgsam
ließ er sich auf der Bank nieder. Beide drehten sie sich um. Sie konnten nichts tun.
    Als Nächster trat Lorcan durch die Tür, und nun war es an Christopher, beruhigend die Hand auf Wynters Arm zu legen. Er sagte kein Wort und sah sie auch nicht an, doch er drückte so fest zu, dass Wynter zusammenzuckte, und ließ erst los, als sie sich in ihre Beobachterposition gefügt hatte. Dennoch schaffte sie es nicht, ihre Verzweiflung gänzlich zu verbergen.
    Lorcan wurde buchstäblich aus den königlichen Gemächern gestoßen, der riesige Soldat hinter ihm bohrte ihm den Griff seines Speers zwischen die Schulterblätter und drückte ihn dann mit seinem gewaltigen Gewicht durch die Tür. Sobald Lorcan die Schwelle überschritten hatte, versuchte er, sich wieder umzudrehen. Er drängte entschlossen gegen den vorrückenden Soldaten an. Das stille Ringen zwischen den beiden Männern dauerte an, und überall im Saal sah Wynter Leute von den Bänken aufstehen.
    Die an den Saalseiten postierten Wachen warfen einander schnelle Seitenblicke zu. Spannung lag in der Luft. Wynter fühlte förmlich, wie sie ihr zwischen den Schultern hindurch in den Nacken kroch, und aus Christopher knisterte sie heraus wie ein Sommerblitz – heiß und gefährlich tief über dem Horizont.
    Jäh hielten Lorcan und sein Gegner in ihrem Gerangel inne. Ihr Vater reckte sich, um über die wuchtige Schulter des Soldaten blicken zu können, und lauschte angestrengt. Seine ganze Körperhaltung schrie: Sag mir, was ich tun soll! Der Bankettsaal schien den Atem anzuhalten.
    Plötzlich sackten Lorcans Schultern herab. Resigniert versetzte er dem Soldaten einen letzten Stoß und knurrte ihm in das unbewegte Gesicht, doch das war nichts als Wut, hilflose
Wut. Dann drehte er sich um und nahm seinen Platz auf dem Podest ein.
    Lange Zeit geschah überhaupt nichts mehr. Wynter beobachtete, wie Christopher die Pause nutzte, um heimlich seinen Dolch zu reinigen und zurück in den Stiefel zu stecken. Lorcan hielt die Augen starr auf seine geballte Faust gerichtet, ohne sich auch nur einmal nach seiner Tochter umzusehen.
    Endlich zog erneute Unruhe an der Tür zu den königlichen Gemächern alle Blicke an: Die restlichen Ratsherren betraten den Saal. Doch im Gegensatz zu den ersten sechs gingen diese acht nicht geduckt – sie kamen mit entschlossenen Mienen heraus. Und anstatt ihre Plätze an der Tafel einzunehmen, sammelten sie sich vor den Stufen zum königlichen Podest, wodurch sie jeden Zugang zur unteren Ebene vollständig versperrten. Alle acht hielten den Blick auf die Tür gerichtet, während sie Schulter an Schulter dort verharrten, eine nahtlose, schwarz gewandete Barriere. Mit ihren hageren, bleichen Gesichtern und den eng anliegenden schwarzen Hauben ähnelten sie tatsächlich den Geiern, für die

Weitere Kostenlose Bücher