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Moorehawke 01 - Schattenpfade

Moorehawke 01 - Schattenpfade

Titel: Moorehawke 01 - Schattenpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kiernan Celine
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sei er verwirrt und verletzt. Am liebsten hätte sie ihn angebrüllt: Für wen hältst du dich eigentlich? Wie kannst du mich so ansehen, nach allem, was du getan hast?
    »Was denkst du denn, Kind?«, fragte Jonathon. »Glaubst du etwa, ich hätte deinen Vater dazu gezwungen , seine eigene Kunst zu schänden?« Plötzlich wirkte er zornig. Seine Miene verdunkelte sich, mit dem Arm beschrieb er einen ausgreifenden Kreis. Es war eine Geste, die eher auf eine große Bühne gehört hätte als vor einen flach auf dem Rücken ausgestreckten Tischler und seinen Lehrling. Wynter fand, der König hatte etwas von einem verwöhnten Kind, das beharrlich leugnet, eine Vase zerbrochen zu haben. »Siehst du hier etwa Salvador Minare seine eigenen Manuskripte verbrennen? Siehst du Gunther van Noos, der seine Gemälde den Flammen preisgibt? Was glaubst du denn, was für ein Mensch ich bin? Dass du mich bezichtigst, einen Künstler zu zwingen, seine eigene Arbeit zu zerstören!«
    Die Sorte Mensch, die den eigenen Sohn schlägt und einem treuen Freund den Schädel zu zertrümmern versucht, dachte Wynter, die Augen zu Schlitzen verengt. Ihre Miene musste durchsichtig wie Glas sein, denn Jonathon stockte und senkte den Blick, seine ganze Wut war verraucht.
    »Du hast schon immer furchtbar schnell die Beherrschung verloren, Jonathon Königssohn.« Lorcans erheitertes Flüstern durchbrach die Anspannung.
    Der König stöhnte auf, legte sich die Hand über die Augen und verblüffte Wynter schon wieder, indem er sich in das Sägemehl
auf dem Fußboden sinken ließ, um sich mit dem Rücken zur Wand neben Lorcans Kopf zu setzen. Er sah seinen alten Freund an und legte ihm die Hand auf die Brust. Lorcan blickte flüchtig auf, worauf Jonathon seufzte und den Kopf an die Wand lehnte. Er betrachtete den Himmel durch das Fenster.
    »Und du hast schon immer furchtbar gern deine Meinung kundgetan, Lorcan Moorehawke. Ich hätte dich schon vor Jahren erschießen sollen.«
    Lorcan gluckste. »Noch ist es nicht zu spät.«
    Einen Augenblick lang schwiegen sie, dann fragte Lorcan müde: »Wirst du den Hadraer töten?«
    Wynters Herz krampfte sich zusammen, und ihre Augen weiteten sich vor Schreck. Wie beiläufig das klang! Als hätte er gefragt: Kommst du auch mit zum Turnier? Oder: Willst du dieses Pferd kaufen?
    »Das wird nicht nötig sein«, erwiderte Jonathon tonlos. »Razi ist schlau genug, ihn vorher loszuwerden. Außerdem ist er lebendig nützlicher … zumindest im Augenblick.«
    »Er ist Razis Freund!«, rief Wynter. Lorcans Teilnahmslosigkeit bestürzte sie, Christophers Schicksal schien ihn überhaupt nicht zu kümmern. »Er ist ein guter Mensch! Er ist treu!« Die gefährlich sentimentale Ergänzung Er bringt Razi zum Lachen! Er macht ihn glücklich! behielt sie lieber für sich.
    Beide Männer wandten ihr die Köpfe zu, ein blaues und ein grünes Augenpaar musterten sie prüfend. Sie fühlte sich winzig und dumm unter ihren durchdringenden Blicken.
    »Er ist zu gefährlich«, befand Jonathon geringschätzig. »Er ist unpassend.«
    »Es gab mal eine Zeit«, krächzte Lorcan, »da sagten die Leute dasselbe über mich.«
    Der König grinste. »Aber Lorcan, du bist anders.«

    »Ich kenne meinen Platz«, murmelte Lorcan ohne jeden Anflug von Bitterkeit.
    »Ja«, flüsterte Jonathon und tätschelte ihm die Brust. »Wir beide kennen deinen Platz. Solche Dinge versteht Razi noch nicht.«
    Wieder verfielen die Männer in Schweigen.
    Wer sind diese beiden? , dachte Wynter. Sie sind mir vollkommen fremd . Das war nicht ihr besonnener, auf höfische Umgangsformen bedachter Vater, und gewiss war dies nicht der unnahbare, herrische König. Diese Männer waren tatsächlich Freunde, begriff sie unvermittelt.
    »Was plagt dich, Bruder?« Es dauerte ein Weilchen, bis Jonathon die Frage über die Lippen bekam, und er stellte sie so widerstrebend, als könnte er Lorcan allein dadurch unwiederbringlich über die Kante eines Abgrunds stoßen.
    »Mein Herz lässt mich im Stich«, gab Lorcan schlicht zurück.
    Mit der Hand, die auf der Brust seines Freundes lag, knüllte Jonathon Lorcans Hemd zusammen. »Ich werde Razi zu dir schicken«, sagte er leise.
    O danke, danke! , dachte Wynter, und Tränen stiegen in ihr auf.
    Lorcan rührte sich nicht, doch Wynter sah seine Augen im Schatten seines Arms glitzern. Er blinzelte einige Male in die Stille, dann rasselte er: »Du weißt, dass ich den Jungen liebe.«
    Jonathon legte den Kopf schief und biss die Zähne

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