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Moorehawke 01 - Schattenpfade

Moorehawke 01 - Schattenpfade

Titel: Moorehawke 01 - Schattenpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kiernan Celine
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nicht auf eine Antwort von ihr, machte lediglich eine an seine Soldaten gerichtete Geste. »Bringt Seine Hoheit Prinz Razi in seine Gemächer. Er ist müde und wünscht, sich bis zum Abendessen auszuruhen. Er wird seine Kammer nicht verlassen wollen. Lasst Jusef Marcos’ Witwe und Vater verhaften und in den Kerker werfen.«

    Dann eilte Jonathan mit ausholenden Schritten den Abhang hinunter und ließ Wynter und Razi inmitten schwarz gekleideter Männer mit steinernen Mienen zurück, eine Leiche zu ihren Füßen. Die Schreie ihres Freundes hallten noch durch die Luft.

Tischler und König
    L orcan musste Wynters Weinen bereits von weitem gehört haben, denn er trat aus der Bibliothek, als sie über die Steinfliesen gelaufen kam. Er polterte in den Gang hinaus, sah sich fieberhaft um und blieb bei ihrem Anblick wie angewurzelt stehen. Unzusammenhängend stammelnd und mit tränenverschmiertem Gesicht warf sich Wynter in seine Arme. Sie war so außer sich, so verstört, dass er sie einfach nur an sich drückte. Sein Herz pochte laut an ihrem Ohr. Dann zog er sie in die Bibliothek und schlug die Tür mit dem Fuß zu. Sosehr sie sich auch bemühte – sie konnte einfach nicht aufhören zu schluchzen; ihre Tränen durchweichten Lorcans Hemd.
    Es musste nun Schluss damit sein. Das wusste sie und wartete darauf, dass ihr Vater sie von sich fortschob, sie schüttelte, sie anbrüllte: Reiß dich zusammen!
    Doch Lorcan hielt sie einfach nur fest, wiegte sie und streichelte ihr über das Haar. »Ist schon gut, mein Liebling. Alles ist gut, mein kleines Mädchen. Sch-sch …«
    Endlich ließ der tosende Sturm in ihrem Inneren nach, und Wynter verstummte erschöpft. Sie sackte in sich zusammen, umklammerte das Hemd ihres Vaters mit beiden Händen. Ihre Knie waren weich, die Augen brannten. Hin und wieder stieß sie noch ein Schluchzen oder Hicksen aus, doch allmählich gewann sie ihre Beherrschung zurück.

    Immer noch hielt Lorcan sie fest an sich gedrückt. »Na siehst du«, sagte er. »Das ist mein Mädchen.« Einen Moment lang schloss sie die Augen und ließ sich von der tröstlichen Kraft umfangen, die Lorcan ihr immer noch schenkte – er würde sie ihr stets schenken, bis zu dem Tag, an dem er starb.
    »Vater!«, jammerte sie unvermittelt und vergrub das Gesicht erneut an seiner Brust. Wieder begann sie zu weinen, aber nun still und hoffnungslos, ganz anders als noch kurz zuvor.
    »Schätzchen«, sagte er sanft, nun wirklich erschrocken. »Komm schon, meine Kleine, was ist denn? Sag mir, was geschehen ist!«
    Und das tat sie. Während sie ihm alles erzählte, hielt Lorcan sie an beiden Händen und betrachtete sie mit wachsender Verzweiflung. Als sie berichtete, wie Jonathon Christopher verhaften ließ und Razi zwang, den Purpur anzulegen, stieß er ein unterdrücktes, trauriges Stöhnen aus und schüttelte den Kopf. Dann ließ er ihre Hände los und ging mit schleppenden Schritten hinüber zu der Wand, an der er zuletzt gearbeitet hatte. Mit gesenktem Kopf, die Stirn an das Holz gedrückt, lehnte er sich gegen das zerstörte Schnitzbild. Langsam rutschte er zu Boden, legte sich auf den Rücken und hob eine Hand über die Augen.
    »Vater?« Ihr eigener Schmerz war plötzlich vergessen. Sie hockte sich neben ihn und nahm seine Hand. »Bitte verlass mich nicht!«
    Eine Träne kullerte aus Lorcans Augenwinkel, und er atmete stoßweise. »Ich werde mir alle Mühe geben, mein Mädchen.« Er drückte ihre Hand, dann blieb er lange Zeit wieder ganz still.
    Etwa zwei Achtel eines Viertels – zwanzig oder dreißig
Minuten lang – saß Wynter nur dort, hielt seine Hand, lauschte seinem Atem. Seit die Krankheit ausgebrochen war, hatte es das schon einige Male gegeben: Er sank einfach zu Boden und fiel in einen Schlaf, meist nach längerer Anstrengung oder wenn ihn etwas innerlich aufwühlte. Welch ein Gegensatz zu den atemlosen, schwitzenden Anfällen, gegen die er verzweifelt ankämpfte!
    Seit ihrer Ankunft bei Hofe war alles anstrengend und aufwühlend gewesen, und die letzten beiden Anfälle waren so kurz hintereinander gekommen und ungewohnt heftig ausgefallen – und das unmittelbar nach der langwierigen, schweren Reise … Wynter wünschte, Razi wäre da, mit seinem Wissen und seiner ruhigen Autorität. Oder Christopher, der sich stets im Hintergrund hielt und dennoch still und fachkundig Dinge in Ordnung brachte. Beim Gedanken an die beiden Männer machte sie sich Sorgen, vor allem um Christopher. Sie hatte schon einmal eine

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