Moorehawke 01 - Schattenpfade
kleinen Trupp junger Tischler vor sich mit einem raschen, sachlichen Blick.
Es waren fünf. Zwei im ersten Lehrjahr, zwei im dritten und einer im vierten wie sie selbst. Keiner von ihnen besaß die Zunftzulassung für Grün – ja, alle außer dem jungen Mann im vierten Lehrjahr trugen gar schlichte schwarze Schnürsenkel, und keiner von ihnen durfte schon gegen Lohn arbeiten. Im Großen und Ganzen waren es die üblichen ungeschlachten, durchtriebenen Kerle; alle drehten sich gleichzeitig zu ihr um und begafften sie – erst erstaunt, dann mit höhnischem
Grinsen. Die älteren Jungen beäugten sie mit unverhohlener Lüsternheit.
»Was haben wir denn da?«, krähte ein schmaler Kerl mit borstigem Haarschopf. Er starrte ihr in den Schritt und leckte sich die Lippen. »Das soll wohl ein Witz sein, was?«
»Wer hat dir gesagt, dass du die Kleider da anhaben darfst?«, fragte einer der Knirpse im ersten Jahr mit anklagendem Blick im spitzen Gesichtchen.
Wynter schluckte. Sie wusste, dass der Meister der Jungen ebenfalls hier war – irgendwo zwischen den Regalen verborgen – und vorgab, ihre Ankunft nicht bemerkt zu haben. Gewiss belauschte er, wie sie sich den Lehrlingen gegenüber behauptete; es war ein Maßstab für ihren Wert. Jetzt ging es um alles oder nichts – in diesem Augenblick würde sich entscheiden, wie sie mit seinem Handwerkertrupp auskäme. Sie durfte keinen Fehler machen, denn eine zweite Chance bekam sie nicht.
»Vielleicht ist die ja hier, um uns die Zeit zu vertreiben«, lachte der Junge mit dem borstigen Schopf und ließ den Blick ungeniert über ihre Brüste wandern. Seine Kameraden johlten und stupsten sich gegenseitig in plumper Begeisterung an, obwohl der Kleinste von ihnen kaum mehr als sieben oder acht Jahre zählen konnte.
Wynter würdigte dieser rüpelhaften Eröffnungssalve keiner Entgegnung; stattdessen musterte sie jeden Jungen träge und kühl. Zwar hatte sie längst alles über sie in Erfahrung gebracht, was sie wissen musste, doch nun wandte sie den alten Trick ihres Vaters an: Sie nahm sich einen nach dem anderen vor, ließ sie spüren, wie unbedeutend sie waren. Die Lehrlinge im ersten Jahr überging sie, als wären sie vollkommen unter ihrer Würde, und wandte ihre Aufmerksamkeit denen im dritten Lehrjahr zu.
Absichtlich begann sie bei dem, der sie zuerst angesprochen hatte, dem Unflätigen mit dem borstigen Haar. Vom Gesicht abwärts ließ sie den Blick zunächst zu dem Zunftzeichen auf seinem Hemd wandern und von dort weiter zu den schwarzen Schnürsenkeln in seinen Schuhen. Dort angekommen, gestattete sie sich, leicht eine Augenbraue hochzuziehen, wie um zu sagen: Ach, ist das etwa alles?
Genauso verfuhr sie mit seinem Kumpan, einem knochigen Kerl mit Sommersprossen, auffallend blauen Augen und schiefen Vorderzähnen. Unter ihrem prüfenden Blick legte er die Stirn in Falten und schielte hilfesuchend zu dem Lehrling im vierten Jahr. Wynter hatte längst erkannt, dass es der ältere Junge war, mit dem sie sich auseinandersetzen musste, doch zuerst nahm sie den Knochigen gründlich und in aller Seelenruhe in Augenschein, bis hinunter zu seinen Schnürsenkeln. Mit einem Ts - ts wandte sie sich von ihm ab. Erst jetzt war der wichtige älteste Lehrling an der Reihe.
Er war etwa siebzehn Jahre alt, von mittlerer Größe und hielt sich leicht nach vorn gebeugt. Sein Gesicht war rund und gutmütig, das Haar seidig braun und seinem Stand geziemend zu einem Zopf gebunden. Bisher hatte er sich aufmerksam im Hintergrund gehalten, während seine Kameraden gafften und spotteten. Nun betrachtete er sie mit zurückhaltendem Interesse. Sie musterte sein Gesicht, das Zunftzeichen, die Stiefel. Beim Anblick der gelben Schnürsenkel deutete sie mit leicht hochgezogenen Augenbrauen und knappem Kopfnicken ihre Anerkennung an. Nicht übel, nur eine Stufe unter dem Grün, das sie selbst trug. Sie wich seinem Blick nicht aus und bemerkte, dass er flüchtig das um ihren Hals hängende Medaillon ihrer Zunftzulassung prüfte. Seine Lippen zuckten, und er begegnete ihrem Blick mit wachsamer Miene.
»Ich hege keinen Zweifel daran, dass dein Meister dir ausgezeichnete Anweisungen gegeben hat und dass ihr alle in seinem Namen gewissenhaft arbeitet.« Wynter sprach ihn und nur ihn an. »Verzeih, dass ich euch unterbrochen habe. Bitte, fahrt fort. Mein Meister ist sehr darauf bedacht, mit dieser Arbeit voranzukommen.«
Das lud den Lehrlingen eine schwere Last auf die Schultern. Hatte ihr Meister
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