Moorehawke 02 - Geisterpfade
Tablett auf den Boden, setzte sich hin, um ihre Stiefel auszuziehen, und krümmte sich vor Rückenschmerzen. »Gütiger«, seufzte sie und wühlte die nackten Zehen in den weichen Sand. »Das fühlt sich gut an.« Sie lehnte sich zurück, stützte sich auf die Ellbogen und blickte in den blauen Himmel. Die Müdigkeit summte durch ihre
Adern, doch die Sonne schien wunderbar auf ihren bloßen Oberkörper, und Wynter schloss einen Moment lang die Augen und saugte die Hitze in sich auf. Sofort wirbelte die Welt in Schwarz und Rot davon, und Wynter spürte, wie sie in die Finsternis stürzte. Rasch setzte sie sich aufrecht hin, riss die Augen weit auf und atmete tief ein. »Huch!«, lachte sie und blinzelte die Flecke weg. »Es ist gefährlich, die Augen zuzumachen.«
Wie ein bleicher, blutgetränkter Stein saß Christopher wortlos neben ihr im Sonnenschein. Wynter wollte ihm die Hand auf den gekrümmten Rücken legen, doch da waren diese furchtbaren Kratzer, also liebkoste sie stattdessen seinen Nacken. Endlich wandte er ihr das Gesicht zu, die Wange auf dem Arm ruhend. Er war völlig erschöpft, seine Augen waren gerötet und geschwollen, das schmale Gesicht kreideweiß. Er betrachtete sie ohne erkennbare Regung, kaum noch bei Bewusstsein.
»Ich bringe warmes Wasser«, sagte sie sanft. »Um das Blut abzuwaschen.«
Teilnahmslos wanderte sein Blick zu dem Waschzeug und der Schüssel, dann zurück zu Wynters Gesicht.
»Haferschleim habe ich auch dabei.«
Immer noch blieb seine Miene ausdruckslos, seine Atmung tief und gleichmäßig wie die eines Schlafenden.
»Bist du wach?«, flüsterte sie.
Er nickte kaum merklich.
»Hier.« Sie kniete sich hin und rutschte herum, bis sie Waschschüssel, Lappen und Seife zwischen seinen Füßen aufgebaut hatte. »Wasch dich selbst; ich kümmere mich um dein Haar.«
Er hob kurz den Kopf, dann ließ er die Stirn zurück auf die Arme fallen, woraufhin Wynter das Band um sein Haar
löste. »Ach, Chris!«, tadelte sie sanft. »Du hast es ja noch gar nicht gebürstet!«
Sein langes Haar hing ihm als struppiges, verfilztes Nest auf den Rücken, immer noch steckten kleine Zweige und Blätter und Erdreste aus der Nacht, in der die Wölfe angegriffen hatten, darin. Wynter breitete es über seine Schultern aus wie ein zerschlissenes Spinnennetz und zupfte bedächtig allen Unrat heraus. Christopher hielt den Kopf nach unten, doch hin und wieder verspannte sich sein Rücken, und seine vernarbten Hände verstärkten den Griff um seine Oberarme und quetschten die zerschundene Haut.
»Glaubst du, Sólmundr wird überleben, Christopher?«
Er antwortete langsam und dumpf, ohne den Kopf zu heben. »Ich glaube nicht, dass er das will.«
Zustimmend nickte Wynter. »Aber ich verstehe es nicht. Er wirkte vor kurzem noch so stark, so voll innerer Kraft. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass er aus freien Stücken sein Leben aufgeben würde. Weißt du, ich glaube, er hat Razis Hilfe nur angenommen, weil der Schmerz unerträglich war. Sonst wäre er mit Freuden einfach gestorben.« Fassungslos runzelte sie die Stirn. »Ich kann es einfach nicht begreifen.«
»Am Ende«, sagte Christopher ruhig, »kann ein Mensch nur ein gewisses Maß an Verlust aushalten. Wenn alles, was er liebt, und alles, was er ist, zerbrochen und verbrannt wird wie Kienspäne, dann erkennt er, dass die einzige Sache, die er noch selbst bestimmen kann, ist, wann und wie er stirbt.«
Wynter hielt nicht inne, sie entwirrte weiterhin sein zerzaustes Haar, starrte seinen gesenkten Hinterkopf aber mit großen Augen an und musste ihre Entgegnung durch eine vor Furcht zugeschnürte Kehle pressen. »Das verstehe ich nicht, Christopher«, flüsterte sie. »Ganz gleich, wie schlimm
die Gegenwart ist, so ist doch jeder Tag ein neuer Anfang? Bringt nicht jeder Morgen das Geschenk der Hoffnung?«
Er stieß ein kurzes Lachen aus. »Ich bin froh, dass du das nicht verstehst, Wynter. Sehr froh.«
»Dennoch«, beharrte sie. »Was ist mit Ashkr?« Christopher zuckte zusammen, seine Finger bohrten sich tief in seine Arme, und Wynter zögerte kurz, weil sie befürchtete, die Liebe zwischen den beiden Männern vielleicht doch missdeutet zu haben. »Er …« Sie stockte. »Ashkr scheint Sólmundr aufrichtig zu lieben. Es kommt mir vor wie ein Verbrechen, jemandes Herz zu erobern und ihn dann vorsätzlich im Stich zu lassen.«
»O ja«, gab Christopher zurück. »Das ist es. Ein gottverfluchtes Verbrechen. Jemandes Herz so zu vergeuden. Er
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