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Moorseelen

Moorseelen

Titel: Moorseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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eine Marionette, die von Zeno dirigiert wurde: darauf ausgerichtet, Geld für die Oase zu beschaffen, egal, ob ich dafür meinen Stolz verkaufen musste.
    Bei der Erinnerung, wie ich am Spreeufer den Leuten nachgelaufen war, um ihnen mit haarsträubenden Lügengeschichten ein paar Euro aus der Tasche zu leiern, kniff ich vor Scham die Augen fest zu, als könnte ich damit die Bilder aus meinem Kopf vertreiben. Dann riss ich mich jedoch zusammen. Für eine moralische Nabelschau war keine Zeit, deshalb lief ich im Zickzack los.
    Eng an die Hauswände gedrückt, deren Mauern die Wärme des Sommertages gespeichert hatten, pirschte ich mich Schritt für Schritt an die Grenze der Oase heran, dorthin, wo die Felder begannen. Leichte Peitschenschläge vom hohen Gras des Hochsommers trafen meine nackten Waden. Dahinter lag das kleine Wäldchen mit dem schmalen Pfad, der in einer Richtung am Moorsee endete und in der anderen Richtung zur Straße führte, die ich beim letzten Mal entlanggegangen war, als ich den Weg zur Oase eingeschlagen hatte. Damals hatte ich es kaum erwarten könnten, wieder vor den Toren der Kommune zu stehen. Jetzt konnte ich nicht schnell genug von hier wegkommen. Wenn ich es bis zur Straße schaffte, würde ich vielleicht irgendjemanden finden, der mich in die Ortschaft Burg mitnehmen konnte, auch wenn es schon spät war. Andernfalls war ich fest entschlossen, notfalls den gesamten Weg zur Polizeistation zu Fuß zurückzulegen.
    Zunächst stand ich aber am Rand des Maisfeldes. Ich hatte die Wahl, entweder mittendurch zu gehen oder aber das Feld zu umrunden. Unschlüssig betrachtete ich die hoch aufgeschossenen, dünnen Gewächse, die mich locker um zwei Köpfe überragten. Mit ihren langen, seitlich ausgestreckten Blättern und den reifen Maiskolben, die mit ihren haarigen Schöpfen wie neugierige Wesen hinter den Stängeln hervorzulugen schienen, glichen die Pflanzen am Tag lustigen Vogelscheuchen. Jetzt in der Nacht wirkten sie jedoch bedrohlich. Die schmalen Blätter bewegten sich mit einem trockenen Rascheln im Wind und auf einmal war ich überzeugt, dass es keine Pflanze, sondern ein Mensch war, dessen Finger mich im Nacken berührten, so wie Mias Hand mich im Moorsee gestreift hatte … Hastig wich ich zwei Schritte zurück und begann, in gebührendem Abstand am Rand des Feldes entlangzulaufen. Stets darauf bedacht, keins der Gewächse zu streifen.
    Endlich erreichte ich das Wäldchen. Die schwarzgrauen Stämme hoben sich kaum gegen den dunklen Himmel ab. Vertrauenerweckend sahen auch sie nicht aus, aber mir blieb nichts anderes übrig, als zwischen sie zu schlüpfen. Während ich mich zwischen den Bäumen hindurchschlängelte, immer tiefer in den Wald hinein, versuchte ich energisch, alle Erinnerungen an die Märchen von bösen Hexen und wilden Wölfen aus meinem Kopf zu verbannen. Vielleicht sollte ich es mit einem Mantra versuchen, um mich nicht von meinen Ängsten einholen zu lassen? Schon bei den ersten beiden Silben verlangsamte ich unwillkürlich meine Schritte. Zenos Bild materialisierte sich vor meinem inneren Auge, als wäre das Mantra Aladins Wunderlampe und ich hätte ihn damit herbeigerufen. Seine tiefe, sanfte Stimme schien direkt in mein Ohr zu raunen, dass ich ihm vertrauen solle, weil die Oase doch mein Zuhause war. Ich wollte ihm nicht zuhören, aber ich konnte nicht anders. Ich sah mich wieder in unserem Meditationsraum im Kreis der Bewohner sitzen, und Zeno trat hinter mich, um mir die Hände auf die Schultern zu legen … Im selben Moment merkte ich zu meinem Entsetzen, dass ich drauf und dran war umzukehren. Meine Beine wollten wie von alleine denselben Weg einschlagen, den ich eben gekommen war. Mir wurde übel: Ich war nichts weiter als ein Roboter, der mit einem Mantra programmiert worden war! So sehr hatten er und die Oase mich also schon im Griff. Ich holte tief Luft. Auf keinen Fall durfte ich nochmals in diesen hypnotischen Zustand verfallen. Mantren waren ab jetzt tabu. Genauso gut hätte ich mir befehlen können, nicht an ein hellblaues Ferkel zu denken.
»Om, Ham, Hanumate …«
, leierte meine innere Stimme prompt wieder los. Um sie nicht mehr zu hören, schüttelte ich heftig den Kopf – nur, so konnte ich natürlich nicht weiterlaufen, ohne gleich frontal mit einem Baumstamm Bekanntschaft zu machen.
    Krampfhaft durchforstete ich mein Gehirn nach etwas, das mich ablenken würde. Ein Song oder ein Film … Das Einzige, was mir hier im Wald jedoch einfiel, waren die

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