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Moorseelen

Moorseelen

Titel: Moorseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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drei Musketiere. Ihr Schlachtruf »Einer für alle, alle für einen« ging mir durch den Kopf und ich brummte ihn mechanisch immer wieder vor mich hin, bis mir plötzlich bewusst wurde, dass es eher »Eine gegen alle« heißen musste – war ich doch wegen Mias Tod auf dem Weg zur Polizei. Nur: Was sollte ich machen, wenn die Beamten mir nicht glaubten? Und wenn sie auch Nick nicht fanden? Vielleicht war ihm ja gar nichts zugestoßen, sondern er war einfach nur abgehauen und saß längst zu Hause bei seinen Eltern? Erneut fraß sich die brennende Säure des Zweifels in mein Herz und ließ meine Beine schwer werden, sodass sie einknickten.
    Schwerfällig kam ich am Fuß einer dicken Kiefer zum Sitzen. Minutenlang hockte ich so, die Arme um die Knie geschlungen und meinen Kopf darauf gebettet. Was sollte ich tun? Ich wollte das alles nicht. Ich wollte keine Entscheidung für oder gegen Zeno und die Oase treffen. Ich wünschte, ich könnte alles, was passiert war, einfach vergessen. Doch tief in meinem Herzen wusste ich, dass ich richtig handelte, wenn ich die Polizei informierte. Ich hatte nicht fantasiert. Die tote Mia war dort im Moorsee gewesen. Und Nick würde nicht einfach abhauen und mich im Stich lassen. Es musste ihm etwas passiert sein, das bewiesen die Zündkerze – und das Blut. Auch Devas Versuche, mich mit irgendwelchen Schlafmitteln ruhigzustellen, waren sehr real. Weiß der Himmel, was sie mit mir noch getan hätten, wenn mir vorhin die Flucht nicht gelungen wäre. Obwohl ich mir sicher war, dass außer Zeno und Urs keiner von den Bewohnern eine Ahnung hatte, warum ich aus der Oase wegwollte. Für sie war ich höchstens ein verirrtes Schaf, das es galt, zurück zur Herde zu führen und sie von der Richtigkeit der Lebensweise in der Oase zu überzeugen. Und Zeno war der Puppenspieler, der alle Fäden in der Hand hielt. Die Kommunenbewohner sahen in ihm nach wie vor den Heilsbringer. Nach Gewalt, Mobbing und Familienproblemen hatten Deva und er verzweifelten Jugendlichen ein neues Zuhause gegeben. Zwar hatte ich keine Ahnung, was ich tun sollte, wenn die Polizei tatsächlich die Oase stürmte, doch ich nahm mir vor, mich zumindest um Aryana und Lukas zu kümmern. Ich hatte die beiden lieb gewonnen und wollte nicht, dass es ihnen schlecht ging, auch wenn sie die Oase vielleicht verlassen mussten. Dieser Gedanke gab mir Kraft. Ich stemmte mich aus der Hocke hoch – und schrie auf. Direkt vor mir ragte eine menschliche Gestalt auf. Ich starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an, bis ich erkannte, dass es nicht Urs war, der mich hasste und der Mia getötet hatte. Vor mir stand Aryana.
    »Gott sei Dank, du bist es«, atmete ich auf. Sie war stets freundlich zu mir gewesen, sie würde mich verstehen. Meine Erleichterung war so stark, dass ich mich in diesem Moment nicht einmal fragte, wo sie so plötzlich herkam. Hastig und ziemlich zusammenhanglos sprudelte die ganze Geschichte mit Mia und den Tabletten, die Deva mir verabreicht hatte, aus mir heraus.
    »Ich muss zur Polizei, Aryana. Sie müssen Mia suchen und Urs mitnehmen, bevor er Nick oder mir auch noch was antut«, sagte ich. Sie hatte die ganze Zeit schweigend zugehört. Als ich atemlos endete, nahm sie mich wortlos in den Arm. Meine Erleichterung war unbeschreiblich. Ich hatte eine Helferin gefunden.
    Aryana drückte mich an sich, ehe sie sich sanft von mir löste und im leichten Plauderton sagte: »Das wirst du nicht tun, Feline!« Im ersten Moment dachte ich tatsächlich, ich hätte mich einfach nur verhört. Doch dann sah ich ihre Augen. Sie waren nicht mehr klar und strahlend wie sonst. Ihr Blick wirkte starr und die Pupillen waren trüb wie das schlammige Wasser eines vom Sturm aufgewühlten Teichs. Eine Gänsehaut kroch über meine Arme bis ins Herz. Unwillkürlich wich ich einen Schritt zurück. Wie an einem unsichtbaren Faden gezogen, folgte sie mir, wobei sie mich nicht aus den Augen ließ.
    »Ich habe dich beobachtet, als du das Babyfon aufs Fensterbrett gelegt hast«, sagte sie tonlos. »Da wusste ich, dass du uns verlassen wolltest. Ich bin dir gefolgt.«
    »Aryana«, beschwor ich sie, »Mia ist tot. Und ich glaube, Urs hängt da irgendwie mit drin …« Ich stockte, als ich ihren Gesichtsausdruck bemerkte. Sie lächelte. Aber es war das ferne, abwesende Lächeln eines Menschen, der einem gar nicht zuhört, sondern mit den Gedanken weit fort ist. Trotzdem versuchte ich es noch einmal.
    »Bitte, hör mir zu!«, flehte ich. »Mia ist nicht

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