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Moorseelen

Moorseelen

Titel: Moorseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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Überraschung unter eine riesige Eiche ganz in der Nähe. Ich setzte mich und lehnte den Rücken an den Stamm, dessen Struktur schrundiger Elefantenhaut glich. Ohne eine Erklärung machte Zeno sich an einem großen Korb mit Deckel zu schaffen, der am Fuße des Baums stand. Nacheinander zog er allerlei Dinge heraus – ein Zauberkünstler, der mir statt des Kaninchens jedoch Fladenbrot, kleine rot gereifte Tomaten, Gurken und verschiedene Einweckgläschen präsentierte. Es folgten Messer, Löffel und zwei Holzbrettchen, auf deren Oberfläche die Umrisse von je einem Paar Delfine eingebrannt waren. Ich nahm eins davon in die Hand und betrachtete es.
    »Hübsch«, meinte ich.
    »Selbst gemacht von unserer Kommune«, erklärte Zeno. »Der Delfin ist ein Symbol der Freiheit.«
    »Ach so, und ihr seid frei, oder wie?«, fragte ich etwas herausfordernd.
    »Ja«, sagte Zeno einfach.
    Ich wartete, doch es kam keine Erklärung. Ich schnaubte. »Es gibt keine Freiheit von der Gesellschaft und ihren Regeln und Zwängen. Unabhängigkeit bleibt doch immer eine Illusion«, behauptete ich etwas altklug.
    »Ah, jetzt wird’s philosophisch. Willst du mit mir diskutieren?«, lächelte er, und seine Zahnlücke blitzte.
    »Klar«, antwortete ich und bemühte mich, nicht zu blinzeln, während ich herausfordernd in seine Honigaugen sah.
    »Dann solltest du dich erst mal stärken«, befand Zeno und hatte in Windeseile ein Stück Fladenbrot mit einer Paste aus einem der vielen Gläschen bestrichen. Jetzt hielt er es mir unter die Nase. Ich musterte skeptisch die dunkelrote Pampe mit den grünen Klümpchen darin. Sieht nach Blutwurst mit Popel aus, dachte ich, sagte aber nichts, sondern griff gehorsam nach dem Probierhappen und steckte ihn in den Mund. Ich kaute einmal, zweimal, schmeckte Süße und etwas, das ich vom Vietnamesen kannte … Verblüfft sah ich Zeno an.
    »Lecker«, stellte ich fest und offenbar klang meine Stimme verwundert, denn er grinste.
    »Was dachtest du denn?«, fragte er belustigt. Und brach in sein ansteckendes Gelächter aus, als ich ihm meinen ersten Eindruck gestand, den ich von diesem grünroten Zeug hatte. »Rote-Bete-Pesto mit frischem Koriander«, informierte er mich und hielt mir schon das nächste Brotstück hin. Wieder etwas Grünes, dessen Duft mir aber vertraut war.
    »Basilikum«, riet ich und nahm es ihm aus der Hand. Richtig. Es schmeckte genauso gut wie das vorige.
    »Alles aus unserem Kräutergarten, auch die Tomaten. Hier«, sagte er und steckte mir ohne Umstände eine der kleinen roten Früchte in den Mund.
    Ich spürte ihre glatte Schale auf meiner Zunge und Zenos Finger, die ganz leicht und wie absichtslos meine Lippen streiften. Auf einmal bekam der Verzehr einer einfachen Tomate etwas Sinnliches, eine Art Vorgeschmack auf mehr … Bei dem Gedanken lief ich Gefahr, Schnappatmung zu bekommen und am Ende noch an der Tomate zu ersticken. Energisch biss ich auf die feste Kugel, spürte sie zerplatzen und ihr weiches, aromatisches Fruchtfleisch mit den kleinen Kernen meinen Mund füllen. Zeno beobachtete mich mit einem Lächeln und mein Gesicht nahm die Farbe von Ketchup an. Wieder schien er meine Gedanken zu lesen, und das war mir in diesem Moment alles andere als recht. Rasch schluckte ich den Tomatenbrei hinunter und verkündete: »Jetzt können wir weiterreden.«
    »Du behauptest also, Freiheit sei nur eine Illusion. Ich sage aber, jeder Mensch ist frei – erst einmal. Er wird erst unfrei, wenn er sich den Regeln oder den Erwartungen der Gesellschaft unterwirft«, argumentierte Zeno. Ich war nicht bereit, diese Behauptung so einfach stehen zu lassen.
    »Ja, aber diese Regeln machen ja auch Sinn. Wenn jeder tun könnte, was er will, würde doch totales Chaos herrschen! An unserer Schule jedenfalls wären nur noch wenige Lehrer am Leben – den Rest hätten die Schüler in die Spree geschmissen.«
    Zeno hatte mir geduldig zugehört. »Ich meine mit ›Freiheit‹ nicht, jeder hätte das Recht, zu handeln oder sich zu nehmen, was er will – notfalls mit Gewalt. Ich rede von der Freiheit des Geistes, die sich in Unabhängigkeit von Äußerlichkeiten manifestiert.«
    Das war mir jetzt doch etwas zu hochgestochen. Mit diesem Esoterikkram wie »Wünsche ans Universum« konnte man mich jagen. Anscheinend spürte Zeno, dass ich dabei war, mich geistig auszuklinken, denn er sah mich eindringlich an, ehe er weitersprach.
    »Schau, Feline. Diese Leute, die du gestern gesehen hast, Mia und die anderen …

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